Lesejahr B: 2023/2024

Evangelium (Joh 15,1-8)

151Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer.

2Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt.

3Ihr seid schon rein kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe.

4Bleibt in mir und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt.

5Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.

6Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen und er verdorrt. Man sammelt die Reben, wirft sie ins Feuer und sie verbrennen.

7Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten.

8Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet.

Überblick

Ohne ihn, geht es nicht. Das Bild vom Weinstock und den Reben.

1. Verortung im Evangelium
Mit dem 13. Kapitel beginnt der zweite Hauptteil des Johannesevangeliums (Joh). Im ersten Hauptteil (Kapitel 1-12) stand die Sendung Jesu vom himmlischen Vater zu den Menschen und sein Wirken mitten unter ihnen im Fokus. Mit dem Evangelium von der Fußwaschung (Joh 13,1-15) beginnt der Rückzug Jesu aus dem öffentlichen Wirken und zugleich die Rückkehr zum Vater, die mit Tod und Verherrlichung am Kreuz endet. Die Kapitel 13-20 (zweiter Hauptteil) verbringt Jesus vor allem mit seinem Jüngerkreis. Ihnen erklärt er nach der Fußwaschung in den sogenannten Abschiedsreden, die Bedeutung dessen, was ihn dann im Leiden und Auferstehen widerfährt.
Das Thema der ersten Abschiedsrede (Kapitel 14) ist das Weggehen und Wiederkommen Jesu. Die zweite Abschiedsrede (Kapitel 15,1-16,4) nimmt die Einheit der Jünger mit Jesus und zugleich die kommenden Anfeindungen der Welt in den Blick. Der Abschnitt Joh 15,1-8 ist stark durch das Bild der Einheit geprägt, das in einem der „Ich-bin-Worte“ Jesu Ausdruck findet.

 

2. Aufbau
Im Mittelpunkt des Abschnitts steht das Bild vom „Weinstock“. Es wird in zwei Teilen entfaltet (Verse 1-4 und Verse 5-6) und jeweils eingeleitet durch „ich bin der (wahre) Weinstock“. Die Verse 7-8 nehmen ausgehend vom Weinstock-Bild die Beziehung der Jünger zu Gott, dem Vater Jesu in den Blick.

 

3. Erklärung einzelner Verse

Das Bild des Weinstocks: Der „Weinstock“ ist nicht nur Teil der Alltagserfahrung. Der Evangelist Johannes greift auf ein Bild zurück, dass die jüdische Tradition bereits verwendet, um Beziehungsaussagen zwischen Gott und seinem Volk zu entfalten. Beim Propheten Jesaja (Jesaja 5,1-7) wird Israel zum Beispiel als Weinberg beschrieben, der nicht die erhofften Früchte bringt. Der Prophet Hosea beschreibt den Verfall des einst „üppigen Weinstocks“ (Hosea 10,1-8). Der Prophet Jeremia zeigt den ebenfalls den guten Anfang und die Verwilderung des Weinstocks, den Gott selbst „als Edelrebe gepflanzt“ hat (Jeremia 2,21).

 

Verse 1-4: Die Rede von Jesus als dem (wahren) Weinstock ist das letzte von insgesamt sieben „Ich-bin-Worten“ Jesu im Johannesevangelium. „Ich bin“ schließt an an die Offenbarung des Gottesnamens vor Mose: „Ich bin, der ich bin“ (Exodus 3,14). Jesus, der vom Vater gesandt ist, eröffnet in diesen Worten das Wesen Gottes in unterschiedlichen Bildern (Brot des Lebens; Licht der Welt; Tür; guter Hirte; Auferstehung und Leben; Weg, Wahrheit und Leben und Weinstock). Im Vergleich zu den anderen „Ich-bin-Worten“ ist dieses jedoch sehr viel ausführlicher gestaltet. Jesus stellt sich selbst als „wahren Weinstock“ vor und den Vater als den Winzer. Weinstock und Winzer sind ebenso aufeinander verwiesen, wie Weinstock und Reben, wenn auch auf andere Art und Weise. Der Winzer sorgt dafür, dass der Weinstock kraftvoll bleibt, indem er abgestorbene oder unfruchtbare Triebe entfernt. Daran erinnert Jesus auch seine Jünger warnend in Vers 2. Gleichzeitig erinnert er die Jünger an ihre „Reinheit“ (vgl. Joh 13,10). Wenn sie sich an das halten, was Jesus ihnen mitgegeben und vorgelebt hat, bleiben sie mit ihm verbunden und damit „rein“. Wenn die Jünger mit Jesus verbunden bleiben und Frucht bringen, werden sie den „Rückschnitt“ des Winzers nicht fürchten müssen. Wie bereits an anderen Stellen (Joh 10,38; Joh 14,11.20) soll die Formulierung „in mir“, die enge, unzertrennliche Verbundenheit zwischen zwei Partnern ausdrücken. Hier ist die Verbindung zwischen Jesus und den Seinen im Blick.

 

Verse 5-6: Mit der Wiederholung des „Ich-bin-Wortes“ beginnt der zweite Teil des Gedankenganges. Nun steht die bleibende Gemeinschaft zwischen den Jüngern und Jesus im Mittelpunkt. Gelingt die Gemeinschaft, bringen die Jünger reiche Frucht. Das bedeutet: Bewahren die Jünger „das Wort“ (Vers 3) Jesu und bleiben sie damit selbst rein und in Treue zu ihm, dann wird ihre Weitergabe der frohen Botschaft erfolgreich sein. Ohne den dauerhaften Rückbezug auf Jesus und sein Wirken („getrennt von ihm“) können die Jünger nichts bewirken. Ja, sie werden sogar vom Winzer aus dem Weinstock geschnitten und entsorgt. Das Bild des Feuers verweist in der biblischen Tradition auf das Gerichtshandeln Gottes.

 

Verse 7-8: Der Akzent des Abschnitts liegt eindeutig in der Betonung der Verbindung. Daher endet er auch mit dem Motiv der Gemeinschaft. Halten die Jünger die Einheit mit Jesus über dessen Worte, dann wird den Jüngern alles gegeben, um was sie bitten. Was die Jünger mit ihren Bitten vollbringen, dient der Verherrlichung des Vaters. Der Evangelist lässt hier die erste Abschiedsrede wieder anklingen (Joh 14,13-14).

Auslegung

Ein Christ, der sich von Christus trennt, beraubt sich seiner eigenen Grundlage – so lautet die Mahnung des Evangelisten Johannes an seine Gemeinde. In seinen Abschiedsworten an die Jünger bebildert Jesus diesen Gedanken mit dem letzten seiner „Ich-bin-Worte“. Er selbst als Weinstock und die Jünger als Reben – damit ist das Bild von der Verbundenheit Jesu mit den Seinen kaum überbietbar. Angesichts des kommenden Leidens und seines Fortgangs zum Vater ermutigt Jesus seine Jünger. Er bestätigt ihnen bereits sein Wort, man könnte auch sagen sein Vermächtnis, empfangen zu haben und so rein geworden zu sein. Diesen Status können sie sich bewahren, wenn sie dem Wort treu bleiben und so eng mit Jesus verbunden. Obwohl Jesus zu Beginn des Bildes davon spricht, dass der Winzer die Reben abtrennt, die keine Frucht bringen. Sind die Jünger selbst, die Reden, diejenigen, die ihr Frucht bringen und damit ihr Schicksal selbst bestimmen können. Trennen sie sich von dem Wort Jesu und damit von Gottes ewigem Wort selbst und lassen sich dann als wertlose, trockene Zweige vom Winzer aussortieren? Oder leben und wachsen sie aus der Verbindung zum Weinstock? Bringen sie Frucht und zeigen sie, dass die Botschaft Jesu in ihnen weiterlebt? Tragen sie so zur Ehre Gottes bei, indem sie seine Güte und Herrlichkeit verkünden?

Wer das Bild vom Weinstock aufmerksam liest, stolpert über diese Fortsetzung des Bildes, die über die erlebte Welt hinausgeht. Anders als in der Natur haben die Reben hier im Bildwort ihr Schicksal selbst in der Hand. Einmal beschenkt durch das Wort, das sie reinmacht, können sie sich entscheiden Frucht zu bringen oder nicht. Es ist wohl die Sorge um die Einheit der Gemeinde und die Erfahrung, dass die Treue zur Überlieferung Jesu angesichts der verstrichenen Zeit bis zu seiner Wiederkunft nachlässt, die Johannes zu diesen Formulierungen drängt. Im zweiten Teil der zweiten Abschiedsrede wird außerdem die Erfahrung der Bedrängnis („wenn die Welt euch hasst“, Joh 15,18) eine große Rolle spielen. Der Evangelist ermahnt, sich selbst und dem treu zu bleiben, der einen berufen hat. Dann ist die Verbindung, die Jesus mit seinen Jüngern aufgebaut hat, die Einheit, die sie geworden sind, auch nach Leiden, Tod und Erhöhung zum Vater unzertrennlich. Die Jünger sind mit Jesus verwachsen. Sie sind bleibend in ihm und er in ihnen, wenn sie an der Gemeinschaft im Wort, das Jesus selbst ist, festhalten. Getrennt von ihm, ohne sein lebensspendendes Wort können sie keine Frucht bringen, nicht erfolgreich das Wort verkünden. Christen ohne Christus sind wie eine Rebe, die vom Weinstock abgeschnitten wurde –sie verlieren ihre Lebenskraft.

Kunst etc.

Das Gemälde aus dem 17. Jahrhundert stammt aus der Stiftskirche St. Castor in Karden an der Mosel. Es zeigt Jesus als Weinstock, der zugleich als Kreuz dargestellt wird. Anstelle von Reben sind die 12 Apostel dargestellt. Am Fuße des Weinstocks Gott Vater („Der Vater macht lebendig“) und Maria („Maria macht fruchtbar“), sowie je zwei Ordensfrauen und -männer.