Mitten unter euch! Johannes der Täufer macht den Unerkannten erkennbar.
1. Verortung im Evangelium
Der Evangelist Johannes eröffnet sein Evangelium, seine frohe Kunde vom Leben und Wirken Jesu anders als die anderen Evangelisten (Matthäus, Markus, Lukas). Das Johannesevangelium (Joh) beginnt mit einem philosophisch anmuteten Hymnus (Joh 1,1-18). In ihm spricht der Evangelist über Jesus als das Wort vor aller Zeit, aus dem alles entstanden ist und das in die Welt kam; das Wort, das Gott selbst ist.
Nach dem Hymnus bzw. der Vorrede (lateinisch: Prolog) steht das Zeugnis Johannes des Täufers im Mittelpunkt (Joh 1,19-34). Dieser Abschnitt leitet den ersten erzählerischen Bogen des Evangeliums ein (Joh 1,19-2,22). Die Verse 1,19-28 sind der erste Teil der Verkündigung des Täufers.
Das heutige Evangelium kombiniert die ersten Verweise auf Johannes im Prolog (Verse 6-8) mit dem Auftreten des Täufers und seiner Verkündigung (Verse 19-28).
2. Aufbau
Die Verse Joh 1,6-8 sind dem Anfangshymnus entnommen und weisen voraus auf die eigentliche Verkündigung in Joh 1,19-34.
Joh 1,19-28 ist ein kunstvoll gestalteter Dialog zwischen Johannes dem Täufer und den jüdischen Autoritäten, bei dem Frage und Antwort im Wechsel stehen. Vers 19 leitet den gesamten Dialog ein, Vers 28 gibt ihm am Ende einen Ort.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 6-8: Im Wesentlichen hat der Hymnus (Joh 1,1-18) Jesus, das fleischgewordene Wort im Zentrum. Das Nachdenken über das göttliche Wort wird nun kurz unterbrochen und der Fokus auf Johannes den Täufer und damit mitten hinein in Zeit und Geschichte gelenkt. Johannes ist ein Mensch, der von Gott gesandt, einen einzigen Auftrag hat: Er soll das Licht verkünden und vom Licht als göttliches, lebensschaffendes Licht erzählen. Durch die Wiederholung des Wortfeldes „Zeugnis geben“ wird diese Tätigkeit als zentrale Aufgabe des Täufers sehr klar herausgearbeitet.
Im darauffolgenden Vers 9 wird eindeutig Jesus, das menschgewordene Wort, mit dem wahren Licht identifiziert und Johannes damit zum Verkünder Jesu gemacht: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.“ (Joh 1,9)
literarischer Rahmen (Vers 19 und 28):
Vers 19 schlägt einen Bogen zurück zu den Versen 6-8 und Vers 15 im 1. Kapitel des Johannesevangeliums: Johannes ist der, der kommt, um Zeugnis abzulegen für einen anderen (s. Verse 26-27). Wurde die Verkündigung des Täufers zuvor nur angekündigt, gewinnt es nun an inhaltlicher Kontur. Der Vers ist also ein Bindeglied zwischen Ankündigung und Umsetzung des Zeugnisses.
Der Vers benennt außerdem die weiteren Akteure der Szene. Es sind „Priester und Leviten“, die als „Abgesandte“ der Juden Jerusalems Johannes aufsuchen.
Vers 28 setzt innerhalb des Johannesevangeliums eine erste räumliche Orientierung. Die religiösen Anführer des Volkes sind von Jerusalem nach Betanien aufgebrochen, um dort mit Johannes dem Täufer zu sprechen. Die Szene spielt damit an einem Ort, der im Johannesevangelium noch mehrfach eine Rolle spielen wird: In Betanien leben Maria und Marta, deren Bruder Lazarus von Jesus auferweckt wird (Joh 11,1-46). Sechs Tage vor dem Paschafest und damit unmittelbar vor dem Einzug in Jerusalem wird Jesus in Betanien von Maria, der Schwester Martas, gesalbt (Joh 12,1-11). Diese Salbung ist Hinweis auf die Passion und den Tod Jesu.
Verse 20-23: Die erste Frage („Wer bist du?“) zielt auf die Person. Johannes soll Auskunft über seine Herkunft und seinen Auftrag geben. Die etwas umständlich anmutende Formulierung deutet darauf hin, dass hinter dem „Interview“ durch die Abgesandten ein formaler Akt steht, den neuen Propheten kennenzulernen. Ob „er bekannte und leugnete nicht“ und die Antwort „ich bin nicht der Christus“ darauf schließen lässt, dass die Fragesteller wissen wollen, ob Johannes der Christus, der Messias, der Gesalbte, ist, bleibt offen.
Da Johannes sich nur in Abgrenzung identifiziert („ich bin nicht“) haken die Gesandten nach und wollen wissen, ob er Elija sei? Nach seiner Himmelfahrt (2. Buch der Könige 2,11) erwarten die Juden seine Wiederkunft und setzen diese in Verbindung mit den endzeitlichen Ereignissen. Vermutlich hat die Umkehrpredigt des Täufers, wie sie in den anderen Evangelien vermittelt wird (zum Beispiel Lukasevangelium 3,2-18), auf diese Spur gebracht.
Die negativen Antworten des Johannes lassen die Abgesandten einen neuen Anlauf nehmen (Vers 22). Sie appellieren daran, dass sie losgeschickt wurden, um Bericht zu erstatten und darum unbedingt eine positive Identifizierung benötigen. Daraufhin gibt sich Johannes als „Rufer in der Wüste“ zu erkennen, wie er vom Propheten Jesaja angekündigt wird (Jesaja 40,3). Für die Fragesteller bleibt die Antwort des Johannes weniger eindeutig als für die Leser des Evangeliums. Nach Joh 1,6-9 und Joh 1,15 ist deutlich, dass Johannes der „Wegbereiter“ Jesu ist, der, der ihm den Weg bahnt.
Vers 24: Der Dialog wird kurzunterbrochen und die Abgesandten (Vers 19) werden als „Pharisäer“ identifiziert. Damit wird deutlich, dass die jüdischen Autoritäten insgesamt, d.h. die religiösen Anführer als Interessierte hinter den Abgesandten stehen. Es sind diejenigen, die für die Auslegung der Tora (und deren Einhaltung) stehen, die mehr über Johannes und seine Identität erfahren wollen. Wahrscheinlich wollen sie prüfen, ob sein Verkündigungsanspruch gerechtfertigt ist.
Verse 25-27: Das Nicht-Verstehen der Antwort in Vers 23 wird nun sichtbar, denn die Abgesandten entwickeln aus den Negativantworten eine neue Frage. Sie zielt auf die Tätigkeit des Johannes und damit indirekt auch auf seine damit verbundene Wortverkündigung (Umkehr). Die Antwort des Johannes schließt ebenfalls an Vers 23, denn auch jetzt verweist er mit seinem Tun (Taufe mit Wasser) auf ein weiteres Ereignis. Nur in indirekter Weise, d.h. ohne Namensnennung verweist er auf Jesus – dies steigert für die Leser die Spannung. Es kommt einer „nach ihm“, der ihm aber dem Rang nach voraus ist. Der Täufer verwendet dazu das Bild vom „Lösen der Sandalen“ und spielt damit auf eine typische Sklaventätigkeit hin.
Besondere Bedeutung hat die Formulierung „mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt“ in Vers 26. Sie weist zurück auf den Prolog, wo zum ersten Mal das Motiv des Erkennens verwendet wird, das im Johannesevangelium eine zentrale Rolle einnimmt. In Joh 14,9 sagt Jesus: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ und benennt damit die doppelte Weise des Erkennens, um die es dem Evangelisten geht: Es gilt Jesus als das fleischgewordene göttliche Wort zu Begreifen und damit in ihm Gott selbst zu entdecken. Die ganze Sendung Jesu ist darauf ausgerichtet, den Vater für die Menschen sichtbar und greifbar zu machen.