Lesejahr B: 2023/2024

Evangelium (Joh 1,6-8.19-28)

6Ein Mensch trat auf, von Gott gesandt; sein Name war Johannes.

7Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen.

8Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht.

19Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden von Jerusalem aus Priester und Leviten zu ihm sandten mit der Frage: Wer bist du?

20Er bekannte und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Christus.

21Sie fragten ihn: Was dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein.

22Da sagten sie zu ihm: Wer bist du? Wir müssen denen, die uns gesandt haben, Antwort geben. Was sagst du über dich selbst?

23Er sagte: Ich bin die Stimme eines Rufers in der Wüste: Ebnet den Weg für den Herrn!, wie der Prophet Jesaja gesagt hat.

24Die Abgesandten gehörten zu den Pharisäern.

25Sie fragten Johannes und sagten zu ihm: Warum taufst du dann, wenn du nicht der Christus bist, nicht Elija und nicht der Prophet?

26Johannes antwortete ihnen: Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt,

27der nach mir kommt; ich bin nicht würdig, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen.

28Dies geschah in Betanien, jenseits des Jordan, wo Johannes taufte.

Überblick

Mitten unter euch! Johannes der Täufer macht den Unerkannten erkennbar.

1. Verortung im Evangelium
Der Evangelist Johannes eröffnet sein Evangelium, seine frohe Kunde vom Leben und Wirken Jesu anders als die anderen Evangelisten (Matthäus, Markus, Lukas). Das Johannesevangelium (Joh) beginnt mit einem philosophisch anmuteten Hymnus (Joh 1,1-18). In ihm spricht der Evangelist über Jesus als das Wort vor aller Zeit, aus dem alles entstanden ist und das in die Welt kam; das Wort, das Gott selbst ist.
Nach dem Hymnus bzw. der Vorrede (lateinisch: Prolog) steht das Zeugnis Johannes des Täufers im Mittelpunkt (Joh 1,19-34). Dieser Abschnitt leitet den ersten erzählerischen Bogen des Evangeliums ein (Joh 1,19-2,22). Die Verse 1,19-28 sind der erste Teil der Verkündigung des Täufers.

Das heutige Evangelium kombiniert die ersten Verweise auf Johannes im Prolog (Verse 6-8) mit dem Auftreten des Täufers und seiner Verkündigung (Verse 19-28).

 

2. Aufbau
Die Verse Joh 1,6-8 sind dem Anfangshymnus entnommen und weisen voraus auf die eigentliche Verkündigung in Joh 1,19-34.
Joh 1,19-28 ist ein kunstvoll gestalteter Dialog zwischen Johannes dem Täufer und den jüdischen Autoritäten, bei dem Frage und Antwort im Wechsel stehen. Vers 19 leitet den gesamten Dialog ein, Vers 28 gibt ihm am Ende einen Ort.

 

3. Erklärung einzelner Verse

Verse 6-8: Im Wesentlichen hat der Hymnus (Joh 1,1-18) Jesus, das fleischgewordene Wort im Zentrum. Das Nachdenken über das göttliche Wort wird nun kurz unterbrochen und der Fokus auf Johannes den Täufer und damit mitten hinein in Zeit und Geschichte gelenkt. Johannes ist ein Mensch, der von Gott gesandt, einen einzigen Auftrag hat: Er soll das Licht verkünden und vom Licht als göttliches, lebensschaffendes Licht erzählen. Durch die Wiederholung des Wortfeldes „Zeugnis geben“ wird diese Tätigkeit als zentrale Aufgabe des Täufers sehr klar herausgearbeitet.
Im darauffolgenden Vers 9 wird eindeutig Jesus, das menschgewordene Wort, mit dem wahren Licht identifiziert und Johannes damit zum Verkünder Jesu gemacht: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.“ (Joh 1,9)

 

literarischer Rahmen (Vers 19 und 28): 
Vers 19 schlägt einen Bogen zurück zu den Versen 6-8 und Vers 15 im 1. Kapitel des Johannesevangeliums: Johannes ist der, der kommt, um Zeugnis abzulegen für einen anderen (s. Verse 26-27). Wurde die Verkündigung des Täufers zuvor nur angekündigt, gewinnt es nun an inhaltlicher Kontur. Der Vers ist also ein Bindeglied zwischen Ankündigung und Umsetzung des Zeugnisses.
Der Vers benennt außerdem die weiteren Akteure der Szene. Es sind „Priester und Leviten“, die als „Abgesandte“ der Juden Jerusalems Johannes aufsuchen.

Vers 28 setzt innerhalb des Johannesevangeliums eine erste räumliche Orientierung. Die religiösen Anführer des Volkes sind von Jerusalem nach Betanien aufgebrochen, um dort mit Johannes dem Täufer zu sprechen. Die Szene spielt damit an einem Ort, der im Johannesevangelium noch mehrfach eine Rolle spielen wird: In Betanien leben Maria und Marta, deren Bruder Lazarus von Jesus auferweckt wird (Joh 11,1-46). Sechs Tage vor dem Paschafest und damit unmittelbar vor dem Einzug in Jerusalem wird Jesus in Betanien von Maria, der Schwester Martas, gesalbt (Joh 12,1-11). Diese Salbung ist Hinweis auf die Passion und den Tod Jesu.

 

Verse 20-23: Die erste Frage („Wer bist du?“) zielt auf die Person. Johannes soll Auskunft über seine Herkunft und seinen Auftrag geben. Die etwas umständlich anmutende Formulierung deutet darauf hin, dass hinter dem „Interview“ durch die Abgesandten ein formaler Akt steht, den neuen Propheten kennenzulernen. Ob „er bekannte und leugnete nicht“ und die Antwort „ich bin nicht der Christus“ darauf schließen lässt, dass die Fragesteller wissen wollen, ob Johannes der Christus, der Messias, der Gesalbte, ist, bleibt offen.
Da Johannes sich nur in Abgrenzung identifiziert („ich bin nicht“) haken die Gesandten nach und wollen wissen, ob er Elija sei? Nach seiner Himmelfahrt (2. Buch der Könige 2,11) erwarten die Juden seine Wiederkunft und setzen diese in Verbindung mit den endzeitlichen Ereignissen. Vermutlich hat die Umkehrpredigt des Täufers, wie sie in den anderen Evangelien vermittelt wird (zum Beispiel Lukasevangelium 3,2-18), auf diese Spur gebracht. 
Die negativen Antworten des Johannes lassen die Abgesandten einen neuen Anlauf nehmen (Vers 22). Sie appellieren daran, dass sie losgeschickt wurden, um Bericht zu erstatten und darum unbedingt eine positive Identifizierung benötigen. Daraufhin gibt sich Johannes als „Rufer in der Wüste“ zu erkennen, wie er vom Propheten Jesaja angekündigt wird (Jesaja 40,3). Für die Fragesteller bleibt die Antwort des Johannes weniger eindeutig als für die Leser des Evangeliums. Nach Joh 1,6-9 und Joh 1,15 ist deutlich, dass Johannes der „Wegbereiter“ Jesu ist, der, der ihm den Weg bahnt.

 

Vers 24: Der Dialog wird kurzunterbrochen und die Abgesandten (Vers 19) werden als „Pharisäer“ identifiziert. Damit wird deutlich, dass die jüdischen Autoritäten insgesamt, d.h. die religiösen Anführer als Interessierte hinter den Abgesandten stehen. Es sind diejenigen, die für die Auslegung der Tora (und deren Einhaltung) stehen, die mehr über Johannes und seine Identität erfahren wollen. Wahrscheinlich wollen sie prüfen, ob sein Verkündigungsanspruch gerechtfertigt ist.

 

Verse 25-27: Das Nicht-Verstehen der Antwort in Vers 23 wird nun sichtbar, denn die Abgesandten entwickeln aus den Negativantworten eine neue Frage. Sie zielt auf die Tätigkeit des Johannes und damit indirekt auch auf seine damit verbundene Wortverkündigung (Umkehr). Die Antwort des Johannes schließt ebenfalls an Vers 23, denn auch jetzt verweist er mit seinem Tun (Taufe mit Wasser) auf ein weiteres Ereignis. Nur in indirekter Weise, d.h. ohne Namensnennung verweist er auf Jesus – dies steigert für die Leser die Spannung. Es kommt einer „nach ihm“, der ihm aber dem Rang nach voraus ist. Der Täufer verwendet dazu das Bild vom „Lösen der Sandalen“ und spielt damit auf eine typische Sklaventätigkeit hin.
Besondere Bedeutung hat die Formulierung „mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt“ in Vers 26. Sie weist zurück auf den Prolog, wo zum ersten Mal das Motiv des Erkennens verwendet wird, das im Johannesevangelium eine zentrale Rolle einnimmt. In Joh 14,9 sagt Jesus: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ und benennt damit die doppelte Weise des Erkennens, um die es dem Evangelisten geht: Es gilt Jesus als das fleischgewordene göttliche Wort zu Begreifen und damit in ihm Gott selbst zu entdecken. Die ganze Sendung Jesu ist darauf ausgerichtet, den Vater für die Menschen sichtbar und greifbar zu machen.

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Auslegung

Der Dialog zwischen Johannes dem Täufer und den Abgesandten der religiösen Anführer der Juden hat etwas rätselhaftes. Nicht nur, weil der Evangelist sehr geschickt ein Frage-Antwort-Spiel daraus macht. Die Fragesteller müssen hierbei immer wieder nachfragen, um zunächst überhaupt eine positive Rückmeldung zu erhalten. Es hat eine gewisse Pointe, dass der Täufer, der explizit als Zeuge vorgestellt wird, sich scheinbar jedes Wort aus der Nase ziehen lässt. Seine Antworten scheinen immer nur so weit zu gehen, dass sein Gegenüber eine nächste Frage anschließt. Diese Taktik scheint aufzugehen, denn Stück für Stück kommt Johannes der Täufer mit seinen Fragestellern an den eigentlichen Kernpunkt seines Verkündigens.

Sehr gekonnt werden dabei zunächst einmal „falsche“ Zuschreibungen verworfen. Johannes ist nicht selbst der Christus. Er ist nicht derjenige, auf den das Volk Israel schon lange wartet: Ein Messias, ein Gesalbter (griechisch: Χριστός, Christus). Dieser Gesalbte Gottes, so die Hoffnung Israels, soll das erwählte Volk von Unterdrückung und Not befreien, es wiederaufrichten und die enge Verbindung mit Gott erneuern. Er ist aber auch nicht „der Prophet“ eine Gestalt, die ebenso wie der wiederkommende Elija mit der Endzeit verbunden wird. Johannes ist selbst nicht der, den das Volk ersehnt und dessen Anwesenheit auf eine Veränderung der jetzigen Verhältnisse (Endzeit, Wiederaufrichtung Israels) verweist. Johannes ist der, mit dem keiner gerechnet hat. Er ist der, von dem Jesaja namenlos spricht, wenn er von einem „Rufer in der Wüste“ kündet. Johannes ist einer, dessen Wirken in seinem Vergehen, in seinem Übergangsstatus besteht. Er ist ein von Gott Gesandter (Vers 6), ein Mensch, der Zeugnis ablegen soll für das Licht und die Menschen zum Glauben einladen soll. Er ist Wegbereiter, indem er die Menschen aufruft, Gott den Weg zu bereiten. Das bedeutet: Er animiert die Menschen durch seine Verkündigung, die Augen nach Gott offen zu halten und dazu auf Gottes Wege zu wandeln. Die anderen Evangelien umschreiben dies mit dem Ruf zur Umkehr. Johannes fordert auf, genauer hinzusehen. In diesem konkreten Dialog gilt dieser Appell den Gesandten der Priester, Schriftgelehrten und Pharisäer, aber auch den Lesern des Evangeliums. „Schaut nicht auf mich“, so sagt Johannes, „schaut auf den, der mitten unter euch da ist!“ Sein ganzes Zeugnis, das so sehr betont wird am Anfang des Evangeliums hat nur einen einzigen Zweck. Es soll sensibilisieren, dass da einer ist, den es erst noch zu erkennen, zu entdecken gilt.

Das Evangelium, das mit dem Loblied auf den in die Welt gesandten Sohn begonnen hat, es wird dieses Motiv des Erkennens kontinuierlich verstetigen. Dabei wird sich erkennen und nicht erkennen immer wieder abwechseln. In Joh 1,41 wird als Erster Andreas, der Bruder des Petrus, eine Erkenntnis aussprechen. Er verrät seinem Bruder: „Wir haben den Messias gefunden.“ Trotz dieser Identifikation wird es lange dauern, bis auch den Jüngern klar ist: Dieser Jesus, den wir als Messias identifiziert haben, ist der Sohn Gottes. Nach der Berufung der Jünger beginnt mit Joh 2,1 das Wirken Jesu in der Stadt Kana. Dort wird Jesus mitten unter einer Festgesellschaft sein – unerkannt. Sein erstes Zeichen (so nennt der Evangelist Johannes die Wunder Jesu) wird darin bestehen, der Hochzeitsgesellschaft einen unbeschwerten Abend zu garantieren, indem er Wasser zu Wein wandelt. Erkennen, verstehen und im Glauben durchdringen sind Schritte eines Glaubensweges zu dem der Evangelist Johannes die Leser seines Evangeliums einlädt. Johannes der Täufer ist der Wegbereiter dafür. Als er von den Abgesandten gefragt wird, wer er ist, stellt er nicht sich als Person vor, sondern seinen Dienst für einen anderen. Einen für den er Zeugnis ablegt, einen der unerkannt schon mitten unter ihnen da ist und ihnen Gott in einer Weise nahebringen will, wie es nur der kann, der eins ist mit ihm.

Kunst etc.

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Auf der Holzmalerei „Johannes der Täufer in der Wüste“ vom sogenannten „Berner Nelkenmeister“ (um 1495) wird Johannes im prophetischen Gewand (Kamelhaar) dargestellt. Als Zeichen seiner Verbindung zur alttestamentlichen Prophetie hält er ein Buch in der Hand. Seine Bedeutung und seinen besonderen Auftrag deuten die Engel als Himmelsboten an. Johannes wirkt zugleich ruhend, weil ins Buch versunken, und dynamisch, denn seine Fußstellung bildet eine Drehung des gesamten Körpers und damit eine Bewegung ab.