Ein von Gott Gesandter ist und verkündet wirkmächtig einen Grund zum Jubel.
1. Verortung im Buch
Im Zentrum des dritten Teils des Buches Jesaja wird Zion als Licht der Völker und Braut Gottes besungen. Mittendrin ergreift eine männliche Stimme das Wort Jesaja 61,1-9 und Zion selbst stimmt ein Loblied an (Verse 10-11). Der Sprecher ist mit dem Geist Gottes begabt. Im Buch Jesja gilt der erwartete Herrscher der Heilszeit durch den Geist Gottes ermächtigt: „Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Der Geist des HERRN ruht auf ihm: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.“ (Jesaja 11,1-2). Und über den Gottesknecht, der in der Forschung verschieden gedeutet wird – als ein Kollektiv oder ein Individuum; als Israel, eine auserwählte Gruppe des Gottesvolkes, einen Propheten, einen König oder einen Priester – sagt Gott: „Siehe, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Nationen das Recht.“ (Jesaja 42,1). An die letztzitierte Stelle knüpft die Aussage in Jesaja 61,1 direkt an – deutet jedoch jetzt den Sprecher als eine königlich-prophetische Person und kein Kollektiv. Auf seine Verkündigung antwortet Zion mit einem Jubellied (siehe dazu unten unter „2. Aufbau“).
Kurzer Exkurs zum Gottesknecht: „Du bist mein Knecht, Israel, an dem ich meine Herrlichkeit zeigen will,“ (Jesaja 49,3) sagt Gott zu seinem Auserwählten im sogenannten zweiten Gottesknechtlied. Dieser Satz bietet im Hebräischen zwei Lesemöglichkeiten. Entweder wird Israel als Knecht Gottes angesprochen, wie die revidierte Einheitsübersetzung die Aussage übersetzt. Oder – und das ist die eigentlich radikale Aussage des Gotteswortes –, der Knecht wird mit Israel identifiziert: „Du bist mein Knecht, du bist Israel …“. Zwischen beiden Übersetzungen liegt ein bedeutender Unterschied. Beim ersten Lesen des Textes in Jesaja 49,1-6 – besonders aufgrund der Klage in Vers 4 – liegt es nahe, den Gottesknecht mit einer Person zu identifizieren. Diese Deutungsmöglichkeit wird jedoch in Vers 3 zerbrochen. Aber wie kann der Knecht Israel sein und zugleich den Auftrag haben, Israel aus dem Exil herauszuführen (siehe Vers 5)? Der Knecht ist, was Israel sein soll – ein Diener Gottes. Das was der Knecht tut, ist das was Israel tun soll. Der Knecht soll Gottes Volk wieder in Jerusalem versammeln – Israel soll aus dem Exil wieder in die Gottesstadt ziehen und sie aufbauen. Das Gottesvolk soll zum Gottesknecht werden. Wenn sie sich nach dem Willen Gottes richten – und durch die Rettung Gottes –, werden sie dann zum leuchtenden Beispiel für die Völker. Und so wird sich die Verheißung aus dem ersten Gottesknechtlied erfüllen: „Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Nationen das Recht.“ (Jesaja 42,1).
2. Aufbau
Die für die Lesung am dritten Adventssonntag ausgewählten Verse stammen aus einer Texteinheit, die es lohnt als solche wahrzunehmen. Das prophetische Wort befreit die Trauernden Zions (Verse 1-3), damit das verheißene Land aus den Ruinen wieder erstehen kann (Vers 4). Die Getrösteten und Befreiten Zions erhalten sodann eine neue Würde – sie werden „Priester des HERRN“ und „Diener unseres Gottes“ (Verse 5-7) und es wird bekräftigt, dass Gott seine Verheißungen erfüllen wird (Verse 8-9) – woraufhin Zion ein Loblied anstimmt (Verse 10-11).
Der Anfang der Rede des Gesalbten ist geprägt durch eine Reihe von sieben Infinitiven, die seinen Auftrag beschreiben. Dieser Auftrag kulminiert in der Trostspendung für die Trauernden Zions: „den Trauernden Zions Schmuck zu geben anstelle von Asche, Freudenöl statt Trauer, ein Gewand des Ruhms statt eines verzagten Geistes. Man wird sie Eichen der Gerechtigkeit nennen, Pflanzung des HERRN zum herrlichen Glanz.“ (Vers 3). Zwar redet ab Vers 10 auch ein „Ich“, doch ist dieses nun zu unterscheiden von dem Gesalbten. Das „bekleidete“ Zion antwortet nun auf das wortmächtig Handeln des Gesalbten: „Von Herzen freue ich mich am HERRN. Meine Seele jubelt über meinen Gott. Denn er kleidet mich in Gewänder des Heils, er hüllt mich in den Mantel der Gerechtigkeit, wie ein Bräutigam sich festlich schmückt und wie eine Braut ihr Geschmeide anlegt.“ (Vers 10).
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 1-2a: Gesalbt und damit von und für Gott beauftragt sind im Alten Testament vor allem die Könige; vgl. 1 Samuel 16,13: „Samuel nahm das Horn mit dem Öl und salbte David mitten unter seinen Brüdern. Und der Geist des HERRN war über David von diesem Tag an.“ Aber 1 Könige 19,16 berichtet auch von einer Prophetensalbung. Der Sprechende ist sozusagen eine königlich-prophetische Gestalt, die dazu beauftragt ist zu „verkündigen“ (בשׂר). Dieses Verb verbindet die Aussage hier direkt mit Jesaja 52,7: „Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Heil verheißt, der zu Zion sagt: Dein Gott ist König.“ Der Sprecher ist dieser Freudenbote. Die „Armen“ zu denen er sich gesandt weiß, sind nicht nur die Sozialschwachen, sondern gemäß der Sprache des Alten Testament auch alldiejenigen, die machtlos ihre Hoffnung alleine auf Gott setzen. Die angekündigte Freilassung könnte auf die Befreiung Israels aus dem Exil anspielen. Die Wortwahl verweist jedoch direkt auf die Gesetzgebung für das Jobeljahr: „Erklärt dieses fünfzigste Jahr für heilig und ruft Freiheit für alle Bewohner des Landes aus! Es gelte euch als Jubeljahr. Jeder von euch soll zu seinem Grundbesitz zurückkehren, jeder soll zu seiner Sippe heimkehren.“ (Levitikus 25,10). Das Jobeljahr, das als „Jahr des Wohlwollens/der Gnade JHWHs“ bezeichnet wird, bedeutet die Befreiung aus der Schuldsklaverei. Im Folgenden wird dieses Jahr als „Tag der Vergeltung“ bezeichnet – denn an diesem Gerichtstag geschieht ein Rechtsausgleich.
Vers 10: Die große Freude wird in Bekleidungsmetaphern ausgedrückt, wodurch die hautnahe Erfahrung des heilvollen Handelns Gottes besungen wird. Der direkte Bezug zu Zion wird auch dadurch deutlich, dass die Rede von Braut und Bräutigam in Jesaja 62,5 explizit aufgenommen wird: „Wie der junge Mann die Jungfrau in Besitz nimmt, so nehmen deine Söhne dich in Besitz. Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich.“ Das anklingende Loblied in den Versen 10-11 zeigt auf, dass die Verkündigung in den Versen 1-9 nicht nur Worte, sondern wirkmächtig sind.
Vers 11: Die hier gewählte Gartenmetaphorik entfaltet die Aussage über Zion von Vers 9: „Ihre Nachkommen werden unter den Nationen bekannt sein und ihre Sprösslinge inmitten der Völker. Jeder, der sie sieht, wird sie erkennen: Das sind die Nachkommen, die der HERR gesegnet hat.“