Lesejahr B: 2023/2024

Evangelium (Mk 7,1-8.14-15.21-23)

71Die Pharisäer und einige Schriftgelehrte, die aus Jerusalem gekommen waren, versammelten sich bei Jesus.

2Sie sahen, dass einige seiner Jünger ihr Brot mit unreinen, das heißt mit ungewaschenen Händen aßen.

3Die Pharisäer essen nämlich wie alle Juden nur, wenn sie vorher mit einer Handvoll Wasser die Hände gewaschen haben; so halten sie an der Überlieferung der Alten fest.

4Auch wenn sie vom Markt kommen, essen sie nicht, ohne sich vorher zu waschen. Noch viele andere überlieferte Vorschriften halten sie ein, wie das Abspülen von Bechern, Krügen und Kesseln.

5Die Pharisäer und die Schriftgelehrten fragten ihn also: Warum halten sich deine Jünger nicht an die Überlieferung der Alten, sondern essen ihr Brot mit unreinen Händen?

6Er antwortete ihnen: Der Prophet Jesaja hatte Recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte, wie geschrieben steht: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir.

7Vergeblich verehren sie mich; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen.

8Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen.

14Dann rief er die Leute wieder zu sich und sagte: Hört mir alle zu und begreift, was ich sage!

15Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.

21Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord,

22Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft.

23All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein.

Überblick

Rein oder raus? Das scheinbar ungebührliche Verhalten der Jünger wird zum Ausgangspunkt der Frage nach dem, was der Beziehung zu Gott im Wege steht.

1. Verortung im Evangelium
Der Evangelist Markus unternimmt es als erster eine Jesuserzählung zu schreiben und die zuvor meist mündliche Überlieferung zu einer fortlaufenden Geschichte zusammenzustellen. Das Markusevangelium (Mk) entsteht kurz nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels (70 n.Chr.) im Jüdischen Krieg. Der Verfasser ist unbekannt, auch wenn es innerhalb der kirchlichen Tradition eine Verbindung zu Markus einem Judenchristen hellenistischer Herkunft gibt. Dieser ist einerseits Paulusbegleiter (Apostelgeschichte 12,12) und andererseits Vertrauter des Petrus (1. Petrusbrief 5,13).
Das Markusevangelium beginnt in der Wüste (Mk 1,1-13) mit dem Auftreten des Täufers und der Taufe Jesu. Dann schildert es den Beginn der Verkündigung Jesu in Galiläa (Mk 1,14-8,26) und den Weg nach Jerusalem (Mk 8,27-10,52) und endet mit den Ereignissen in Jerusalem (Mk 11,1-16,20). Das ursprüngliche Ende des Evangeliums war die Begegnung der Frauen mit dem Engel am leeren Grab (Mk 16,8). Die Erweiterung um die Erscheinungserzählungen sind später hinzugefügt worden (Mk 16,9-20).
Die Verse des vorliegenden Evangeliumstextes (Mk 7,1-8.14-15.21-23) gehören zu dem Gesamtabschnitt Mk 7,1-23, der insgesamt ein Gespräch zwischen Jesus, den Gesetzeslehrer, Pharisäern, der Menge und den Jüngern abbildet. Ausgangspunkt ist ein Vorwurf der Gesetzeslehrer und Pharisäer gegenüber dem Verhalten der Jünger. Darauf antwortet Jesus mit erklärenden Worten an die unterschiedlichen Gruppen, damit ist der Abschnitt ein klassisches Lehrgespräch.

 

2. Aufbau
Die Verse 1-5 legen ausführlich die Ausgangssituation des Gesprächs dar und geben den Vorwurf der Pharisäer und Schriftgelehrten wieder. In den Versen 6-8 folgt eine erste Antwort Jesu an die Fragenden. Diese wird durch die Verse 14-15 ergänzt, allerdings ist hier schon die Menge wieder als Adressatenkreis mitgedacht. Die Verse 21-23 sind abschließend an die Jünger gerichtet.

 

3. Erklärung einzelner Verse

Verse 1-5: Die Erzählung ist nicht näher lokalisiert. Der Evangelist Markus platziert sie aber bewusst vor den Episoden, bei denen sich Jesus in vornehmlich heidnischem Gebiet aufhält (z.B. Tyrus in Mk 7,24-30). Ehe Jesus also auf seinem Weg nach Jerusalem durch heidnisches Gebiet zieht, werfen die Pharisäer und Schriftgelehrten auf, ob sich Jesus und seine Jünger an die „Überlieferung der Alten“ halten. Die Frage der beiden Gruppen macht sich wie in Mk 2,23 am konkreten Verhalten der Jünger fest. Dabei geht es weniger um den hygienischen Aspekt, sondern vielmehr um die Frage danach, ob die Jünger die „Überlieferung der Alten“ in Ehren halten. Vers 3 formuliert hierzu eine Aussage, die für das Judentum zur Zeit Jesu und zur Zeit des Evangelisten Markus so generell nicht zutreffen dürfte. Denn die Vorschriften, die die Schriftgelehrten und Pharisäer als Maßstäbe für ein „reines Leben“ beschreiben, sind Auslegungen des Gesetzes, die die Standards eines reinen, priesterlichen Lebens in den Alltag übertragen wollen. Dass dies den mehrheitlichen Lebensstil der Juden zur Zeit Jesu getroffen hätte, ist nicht vorstellbar. Die Schriftgelehrten und Pharisäer mahnen also eine Verhaltensweise als für alle verbindlich an, die so nie flächendeckend angewendet wurde. Die Verse 3-5 sind vom Evangelisten an seine heidenchristlichen Leser gerichtet. Sie sollen verstehen, wie die Reinheitsvorschriften funktionieren: Welche Dinge sind zu beachten, um „rein“ zu sein. „Rein“ ist dabei eben keine hygienische, sondern eine kultische Kategorie.

 

Verse 6-8: Die erste Antwort Jesu setzt ein mit einem Jesaja-Zitat. Durch die Ansprache der Fragenden mit „Heuchler“ wird die Haltung Jesu schon vor der eigentlichen Erwiderung deutlich. Nur an dieser Stelle findet das Wort „Heuchler“ im Markusevangelium eine Verwendung. Mit dem Prophetenwort lässt Jesus die Pharisäer und Schriftgelehrten als Menschen erscheinen, die sich in ihrem eigentlichen Tun weit von Gott entfernt haben: Sie bekennen mit ihren Lippen ohne mit dem Herzen da zu sein. Sie hängen sich an menschliche Weisungen und nicht an Gottes Wort. Der Evangelist legt Jesus damit eine Generalkritik an der Religionsausübung der Gesetzestreuen in den Mund, wie wir sie unter anderem auch aus dem Matthäusevangelium kennen (Matthäusevangelium 23). Ihnen wird vorgeworfen, der menschlichen Auslegung der Gesetze Gottes mehr Gewicht zu geben als den Gesetzen selbst, indem sie mit der „Überlieferung der Alten“ die Gesetze erweitern und ihre Befolgung einengen.

 

Verse 14-15: Die zweite Antwort Jesu ist an „die Leute“ gerichtet. Er ruft sie zu sich – eine Darstellung, die Seltenheitswert hat, denn zumeist ist Jesus von selbst umringt von Menschenmassen (z.B. Mk 6,53-56). Mit dieser Geste wird deutlich: Hier und jetzt will Jesus, dass viele Menschen zugegen sind. Die folgenden Worte, die das Zentrum des Kapitels ausmachen, sollen sie unbedingt mitbekommen. Der einleitende Vers 14 betont dies zusätzlich. Jesus stellt den vorher benannten Reinheitsvorschriften eine einzige Grundidee gegenüber: Der Mensch wird nicht unrein durch äußere Dinge, sondern durch das, was in ihm selbst entsteht. Damit sind es die Taten und Worte eines Menschen, die ihn unrein werden lassen und so von Gott trennen, nicht die Berührung mit etwas oder zum Beispiel das Essen bestimmter Speisen. Konsequent zu Ende gedacht, bedeutet diese Worte Jesu das Ende der Gültigkeit der rituellen Vorschriften, wie sie in den Gesetzten Mose überliefert wurden.

 

Verse 21-23: In Vers 17 hatte die Menge Jesus verlassen und die Jünger stehen im Zentrum. Wenn es dort heißt, dass sie ihn nach den „rätselhaften Worten“ fragen, zeigt sich, so einfach ist die Antwort Jesu für sie nicht zu verstehen. Mit den konkreten Beispielen der Verse 21-23 zeigt Jesus auf, was das eigentlich „Unreine“ und damit von Gott Trennende ist: Es sind die Gedanken, die bösen Haltungen und Taten der Menschen. Sie entstehen im „Herzen“ und so im Innersten des Menschen, da, wo nichts Äußeres beeinflussen kann.
Die genannten Begriffe bilden eine Aneinanderreihung von „Lastern“ also schlechten Tugenden. Eine solche Bündelung von mangelhaften Verhaltensweisen findet sich nur hier in den Evangelien. Entscheidend an ihnen ist, dass sie alle auf das Verhalten zwischen Menschen zielen und nicht direkt auf ein Verhalten gegenüber Gott.

Auslegung

In der Auseinandersetzung zwischen Jesus auf der einen Seite und den jüdischen Autoritäten, den Pharisäern und Schriftgelehrten, auf der anderen Seite geht es vordergründig um Deutungshoheiten: Wessen Weisungen, welche Auslegung ist normativ für das religiöse Leben? Woran soll ich mich als religiöser Mensch orientieren? Die Pharisäer und Schriftgelehrten haben ihre Überzeugung und möchten selbstverständlich dafür werben bzw. sie für andere als ebenso verbindlich darstellen. Das strenge Auslegen und vor allem Befolgen der Gesetze ist für sie der entscheidende Weg hin zu Gott. Die Gesetze mit ihren Kategorien „rein“ und „unrein“ regeln, wer sich aufgrund von äußerem Verhalten von Gott distanziert oder ihm nahekommen kann. Denn wer „rein“ ist, der kann am Kult teilnehmen, wer „rein“ ist, hat uneingeschränkten Zugang zu Gott – so der Gedanke. Und wer oder was rein ist, das regeln in der Überzeugung der Pharisäer und Schriftgelehrten nicht nur die Gesetze selbst, sondern auch die Auslegungstradition der „Alten“. Die eigentliche Frage und darin sind sich Jesus und die beiden jüdischen Gruppen einig, ist jedoch: Was muss ist tun, wenn ich vor Gott bestehen oder mit ihm in einer guten Beziehung leben will? Am Ende dreht sich der Streit zwischen den Pharisäern und den Schriftgelehrten um die Frage, wie das Leben mit Gott gelingt.

Und in genau dieser Frage sind sich die Gesprächspartner uneinig. Erinnern die Pharisäer und Schriftgelehrten an die Tradition, an die zum Teil sehr kleinschrittigen jüdischen Gesetzesvorschriften und halten diese für eine Richtschnur für ein Leben mit Gott, setzt Jesus den Fokus anders. Für ihn sind es nicht „äußere“ Einflüsse, die die Beziehung mit Gott gestalten, weder das Abreißen von Ähren am Sabbat (Mk 2,23) noch die Nichtbeachtung von Reinigungsvorschriften, obwohl sie unter hygienischen Argumenten sehr sinnvoll sind, können im Kern von Gott trennen. Was aber von Gott trennt, weil diese Gebote Gottes untrennbar miteinander verbunden sind und deshalb oft vom „Doppelgebot“ die Rede ist, ist das Verhältnis des Menschen zu seinem Nächsten. Das Doppelgebot von Gottes- und Nächstenliebe, wie es Jesus im Gespräch mit den Schriftgelehrten in Mk 12,28-34 benennt, ist das eigentlich entscheidende in der Beziehung zu Gott. Auf dieses Gebot hin muss das gesamte Verhalten überprüft werden. Denn am Ende ist es die innere Haltung dem Nächsten gegenüber, die aus dem Menschen kommt und ihn in Distanz zu Gott setzt. Wenn man dies ernst nimmt, dann sind es sowohl die Haltungen wie Bosheit, Hochmut und Unvernunft dem Nächsten gegenüber, die einen selbst „unrein“ werden lassen und in Distanz zu Gott bringen. Es kann aber auch die Nicht-Einhaltung von Hygienevorschriften sein, die den Nächsten gesundheitlich gefährden, und damit mein eigenes Verhältnis zu Gott aufs Spiel setzen.