Das Gesetz Gottes als Weisheit und Zeichen der Nähe und Gerechtigkeit Gottes – das lehrt Moses.
1. Verortung
„Und nun“ – diese Worte markieren im Buch Deuteronomium einen Einschnitt. Zu Beginn erzählte Mose von der Wüstenwanderung (Deuteronomium 1,6-3,29); nun leitet er über zur Promulgaion der Gesetze Gottes für das Leben im Verheißenen Land (Deuteronomium 5,28). Den Übergang markiert eine Ermahnungsrede Moses in Deuteronomium 4 samt prophetischer Unheils- und Heilsankündigung.
2. Aufbau
Das entscheidende Leitwort in Deuteronomium 4,1-8 sind die „Gesetze und Rechtsentscheide“ (Vers 1). Sie lehrt Mose (Vers 5), sie sind eine Gesamtheit / Einheit (Vers 6: „Rechtswerk“ – wörtlich „alle diese Gesetze“); sie sind „gerechte Gesetze und Rechtsentscheide“ (Vers 8) – sie sind die gesamte Tora, Weisung Gottes (Vers 8).
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Es geht um kein bloßes Hinhören, wenn Mose sagt: „Israel hör!“ (vgl. „Hör Israel“ in Deuteronomium 6,4) – diese Aufforderung wäre jedoch zugleich falsch verstanden, wenn sie als Aufruf zu blinden Gehorsam gedeutet würde. Israel soll zuhören, Mose wird das Volk lehren – die Gebote zu halten -, es wird lernen; und dann entsprechend handeln. Von besonderer Bedeutung ist hier der Aspekt, dass Mose das Volk die Gesetze Gottes „lehrt“ – dies wird nochmals in Vers 5 betont: „Siehe, hiermit lehre ich euch, wie es mir der HERR, mein Gott, aufgetragen hat, Gesetze und Rechtsentscheide. Ihr sollt sie innerhalb des Landes halten, in das ihr hineinzieht, um es in Besitz zu nehmen.“ Gemäß Deuteronomium 5,31 ist Mose von Gott als Gesetzeslehrer für Israel beauftragt. Somit sind die im Buch Deuteronomium dem Volk Israels auf den Weg ins Verheißene Land mitgegebenen Gesetze (Deuteronomium 5-26) eine mosaische Auslegung der am Sinai offenbarten Torah. Das Ziel der Auslegung ist das Heil für Israel – d.h. das glückende Leben im Verheißenen Land.
Vers 2: Die Aufforderung zur Sicherung des Wortlautes autoritativer Texte ist im Alten Orient breit belegt. So wurden zum Beispiel auch Loyalitätseide gegenüber dem assyrischen König im 7. Jahrhundert vor Chr. abgesichert: „… wer den Eid dieser Tafel veränder, missachtet, dagegen verstößt und ihn beseitigt, diesen Loyalitätseid missachtet und ihren Eid bricht, diese Tafel des Loyalitätseides fortschafft, den sollen Assur, der König der Götter, und die großen Götter meines Herrn verfluchen.“ In der Abfolge von Vers 1 und 2 ergibt sich, dass Moses Lehre der Gesetze Gottes (siehe auch den Beginn des Buches Deuteronomium in 1,1-5) verpflichtend ist. Durch die Wortsicherungsformel in Vers 2 (siehe auch Deuteronomium 13,1) wird ein klarer Unterschied zwischen autoritativen Text und dessen Kommentierung gezogen.
Vers 6: Die Aussage dieses Verses ist eine doppelte – da es zwei Möglichkeiten gibt, den Vers zu lesen. Es ist nicht eindeutig, ob die Gesetze und Rechtsentscheide, die Mose dem Volk lehrt, als Weisheit zu identifizieren sind; oder ob, ihre Einhaltung ein Spiegel der Weisheit und Einsicht des Volkes ist. Beides fließt ineinander. Israels Weisheit besteht darin, dass es gerechte Gesetze hat und diese befolgt. Eine interessante Querverbindung ergibt sich zum Ende des Buches Deuteronomium – hier kurz vor dem Tod Moses wandert der „Geist der Wahrheit“ von ihm auf seinen Nachfolger Josua – ist der „Geist der Wahrheit“, der eigentliche Gesetzeslehrer Israels?
Vers 7: Dass ein Gott seinem Volk besonders nahe ist, verkünden im Alten Orient viele Völker. Inwiefern Israel in seiner Umwelt hervorsticht, erklärt dieser Vers nicht – eine erste Anwort geben Deuteronomium 4,33-34: „Hat je ein Volk mitten aus dem Feuer die donnernde Stimme eines Gottes reden gehört, wie du sie gehört hast, und ist am Leben geblieben? Oder hat je ein Gott es ebenso versucht, zu einer Nation zu kommen und sie sich mitten aus einer anderen herauszuholen unter Prüfungen, unter Zeichen, Wundern und Krieg, mit starker Hand und hoch erhobenem Arm und unter großen Schrecken, wie alles, was der HERR, euer Gott, in Ägypten mit euch getan hat, vor deinen Augen?“. Und eine zweite Antwort gibt Deuteronomium 30,14: „Nein, das Wort [des Gesetzes] ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten.“ Die besondere Nähe Gottes zu seinem Volk erklärt sich durch das Gesetz – siehe Vers 8.
Vers 8: Auch der babylonische König Hammurapi beansprucht auf seiner Gesetzesstele „gerechte Rechtssprüche“ zu bieten, die auf göttliche Quelle zurückzuführen sind. Doch hierzu setzt das Buch Deuteronomium einen bewussten Kontrast. Kein König, sondern Mose verkündet und lehrt das Gesetz des Gottes Israels, dass dieser selbst offenbart hat. Nicht nur die Gerechtigkeit, sondern die Gesetze selbst wurzeln im israelitischen Verständnis direkt in Gott.