Lesejahr B: 2023/2024

2. Lesung (Jak 3,16 - 4,3)

16Wo nämlich Eifersucht und Streit herrschen, da gibt es Unordnung und böse Taten jeder Art. 17Doch die Weisheit von oben ist erstens heilig, sodann friedfertig, freundlich, gehorsam, reich an Erbarmen und guten Früchten, sie ist unparteiisch, sie heuchelt nicht. 18Die Frucht der Gerechtigkeit wird in Frieden für die gesät, die Frieden schaffen.

41Woher kommen Kriege bei euch, woher Streitigkeiten? Etwa nicht von den Leidenschaften, die in euren Gliedern streiten? 2Ihr begehrt und erhaltet doch nichts. Ihr mordet und seid eifersüchtig und könnt dennoch nichts erreichen. Ihr streitet und führt Krieg. Ihr erhaltet nichts, weil ihr nicht bittet. 3Ihr bittet und empfangt doch nichts, weil ihr in böser Absicht bittet, um es in euren Leidenschaften zu verschwenden.

Überblick

Friedfertigkeit ist eine Voraussetzung für das rechte Gebet. Missgunst und Selbstsucht versperren die Sicht auf diese „Weisheit von oben“.

 

1. Verortung 

Am Anfang blieb die Frage, was Weisheit ist, noch offen: „Fehlt es aber einem von euch an Weisheit, dann soll er sie von Gott erbitten; Gott wird sie ihm geben“ (Jakobus 1,5). Es ist jedoch direkt ersichtlich, dass sie das den Menschen leitende Prinzip sein soll und der Mensch Gott um sie bitten soll. Die besondere Qualität der „Weisheit von oben“, wie sie in Jakobus 3,17 genannt wird, ist sofort ersichtlich, wenn man sie auf dem Hintergrund folgender Aussage aus Jakobus 1,17 versteht: „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben herab, vom Vater der Gestirne, bei dem es keine Veränderung oder Verfinsterung gibt.“ Wer ist nun also ein weiser und verständiger Mensch? Diese in Jakobus 3,13 gestellte Frage wird nun beantwortet – und sie hat auch eine große Bedeutung für das Gebet.

 

2. Aufbau

Vers 16 stellt eine Wiederaufnahme von Vers 14 dar („14 Wenn ihr aber bittere Eifersucht und Streitsucht in eurem Herzen tragt, dann prahlt nicht und verfälscht nicht die Wahrheit!“), dem ein klares Verdikt folgt: „Das ist nicht die Weisheit, die von oben kommt, sondern eine irdische, weltliche, teuflische Weisheit.“ (Vers 15). Dieses Verdikt wird in Vers 16 begründet und in den Versen 17-18 expliziert. 

Die Abschnitte 3,16-18 und 4,1-3 sind durch die Themen, Missgunst, Selbstsucht, Kampf – bzw. dem gespaltenen Menschen – eng miteinander verbunden. Das Thema der zerstörerischen Begierden („Leidenschaften“), die der Weisheit entgegenstehen, rahmt die Verse 1 und 3. 

 

3. Erklärung einzelner Verse 

Vers 16: Es empfiehlt sich das in der revidierten Einheitsübersetzung mit „Eifersucht“ wiedergegebene Wort im Sinne von Missgunst zu verstehen. Das griechische Wort hier ist ζῆλος, das „Eifer“ bedeutet, und in Vers 14 durch das Adjektiv „bitter“ definiert wird. Der mit „Streit“ wiedergegebene Begriff ἐριθεία hat die Grundbedeutung „Selbstsucht / Eigennutz“. Die Missgunst und die Selbstsucht haben soziale Folgen: die Zerrüttung der sozialen Verhältnisse. Das was im Herzen der Gläubigen geschieht (siehe Vers 14), hat Auswirkungen auf das Gemeinschaftsleben. Unruhe und Instabilität prägen dann die Gemeinschaft und anstatt gemäß der Weisheit und somit der von Gott gewünschten Ordnung zu lesen, ereignen sich „böse Taten jeder Art“. Das hier verwendete Adjektiv φαῦλος kann als Gegenbegriff zu „weise“ verstanden werden und auch „töricht“ bedeuten.

Vers 17: Um zu verstehen, was die „Weisheit von oben“ ist, ist ein kurzer Blick auf die Verse 14-15 hilfreich: Dort werden Missgunst und Selbstsucht, bzw. deren Konsequenzen, also Überheblichkeit und Lüge, als „irdische, weltliche, teuflische Weisheit“ gebrandmarkt.  Die „Weisheit von oben“ hingegen ist eine Gabe mit göttlichen Qualitäten. Zuvorderst wird sie als heilig / lauter beschrieben. So wie Gott, sind auch seine Weisheit und somit die Weisen nicht nur Affekte in ihren Handlungen bestimmt, sondern heilig – was dies genau bedeutet erklären die folgenden untergeordneten Beschreibungen. Besonders auffallen ist die Eigenschaft der Friedfertigkeit, da sie traditionell nicht mit der Weisheit verbunden ist. Frieden bedeutet im jüdisch-hellenistischen Kontext sowohl die Ruhe als auch ein umfassende Heilssituation. Somit wird vom Autor des Jakobusbriefes bewusst das friedvolle Zusammenleben als Ziel der Weisheit betont. Auffällig ist die Beschreibung der Weisheit als „gehorsam“ – sie überrascht den Lesenden. Wie ist die Weisheit gehorsam? – der Gehorsam der Weisen ist hingegen leicht verständlich; doch darum geht es nur sekundär. Das griechische Wort εὐπειθής ist im Neuen Testament nur hier belegt und vielleicht ist ein christlich abgewandeltes Verständnis angebracht. In der kommentierenden Literatur finden sich verschiedene Vorschläge; zum Beispiel eine aktive Bedeutung: „die Weisheit erlangt Folgsamkeit auf sanfte Art“; oder aus dem Kontext der stoischen Philosophie erklärt: „ohne Affekte / ungespalten“. In der Betrachtung der Beschreibungen, wie die Weisheit ist, verdient auch das „reich an Erbarmen“ besondere Beachtung. Barmherzigkeit gilt in der damaligen hellenistischen Philosophie der Stoa als eine „Krankheit der Seele“, für den Autor des Jakobusbriefes und für alle biblischen Schriften hingegen beschreibt sie hingegen das innere Wesen Gottes (siehe Exodus 34,6). Die Beschreibung der Weisheit in Vers 17 hat direkte Konsequenzen für den Menschen. In Vers 13 wurde zuvor gefragt: „Wer von euch ist weise und verständig?“ – und als allgemeine Antwort darauf wurde formuliert: „Er soll in weiser Bescheidenheit die Taten eines rechtschaffenen Lebens vorweisen.“ Die Beschreibungen der Weisheit in Vers 17 ist das formulierte Ziel für die Menschen ebenso zu sein, d.h. ein rechtschaffendes Leben zu führen durch Friedfertigkeit, Milde, Gehorsam, Barmherzigkeit etc.

Vers 18: Sät Gott die Frucht für die Friedensstifter, oder wird diese von denen selbst gesät? Ist die Frucht selbst die Gerechtigkeit in der Welt oder entstammt diese der Gerechtigkeit? Diese Fragen bleiben im griechischen Text von Vers 18 offen. Unzweifelhaft ist jedoch, dass das Motiv des Säens auf eine gute Zukunft hinweist und somit eine Verheißung gibt. Es ist die menschliche Aufgabe Frieden zu schaffen und dieser Prozess führt durch Gott zur „Frucht“.

Vers 1: Der friedenstiftende Charakter der Weisheit (Vers 17) wird mit den, in der Gemeinde herrschenden Krieg und Kämpfen, kontrastiert. „Krieg“ beschreibt den Zustand der Gemeinde und „Kampf“ das konkrete Geschehen. Der Autor fragt einleitend, wo die Quelle, bzw. der Grund für diese Ungeordnetheit zu finden ist. Die Antwort ist eindeutig: In den menschlichen Lüsten, bzw. der Ausrichtung am gegenwärtigen Genuss. Diese Lüste werden als Antrieb der Gemeindemitglieder gebrandmarkt. Sie streiten im Menschen, und so verliert er oder sie seine/ihre Ausrichtung auf Gott und die Gemeinschaft.

Vers 2: Gerahmt wird dieser Vers durch die Feststellung: „ihr erhaltet nichts“, bzw. „ihr habt nicht“. Der Grund für diesem Mangel ist das fehlende, rechte Gebet (Vers 3). Der Autor beschreibt ein endloses Verlangen im Menschen, das im Endeffekt nur zu Eifer – im Sinne von Missgunst (siehe Vers 16) und Tod führt. Der Vorwurf ist krass: Skrupellos folgt Ihr Eurem Verlangen und geht dabei auch über Leichen. Bemerkenswert ist, dass alle die Verben, die das Verlangen und dessen Konsequenzen beschreiben, ohne Objekt darstellen und der Fokus völlig auf der Handlung liegt.

Vers 3: Rhetorisch geschickt wirft der Autor den Leserinnen und Lesern in Vers 2 zuerst vor, dass sie nicht „bitten“, um dann dies zu konkretisieren: Ihr bittet zwar, aber schlecht. Im rechten Gebet ordnet sich der Bittende Gott, und nicht seinen oder ihrer Leidenschaften, unter: „Ordnet euch also Gott unter, leistet dem Teufel Widerstand und er wird vor euch fliehen“ (Vers 7).

Auslegung

Themen, wie Weisheit und Leidenschaften, scheinen auf den ersten Blick abstrakt-theologisch zu sein. Doch dem Autor des Jakobusbriefes geht es um die konkrete Hilfe zur Bewältigung des Alltagslebens. Er blickt kritisch auf den Gläubigen, der auch ein gespaltener Mensch sein kann; in sich selbst zerrissen oder von seinen Begierden hin und her gerissen, bringt er die Missgunst, die Selbstsucht und das Verlangen in die kirchliche Gemeinschaft, die ihrerseits somit von Streit geprägt sein kann. 

Die Weisheit ist wie eine Medizin dagegen. Sie ist die von Gott gewollte, lebensförderliche Ordnung – ihre Friedfertigkeit soll gelebter Standard in der Gemeinde sein; um sie soll der Mensch Gott bitten (Jakobus 1,5) und darin seinen Glauben zum Ausdruck bringen. Glauben und Weisheit hängen im Denken des Autors des Jakobusbriefes eng zusammen. Die Bitte um Weisheit ist das von Gott gewollte Gebet (Jakobus 4,3) – und wer so nicht betet, der verliert den festen Boden unter den Füßen: „Wer bittet, soll aber im Glauben bitten und nicht zweifeln; denn wer zweifelt, gleicht einer Meereswoge, die vom Wind hin und her getrieben wird. 7 Ein solcher Mensch bilde sich nicht ein, dass er vom Herrn etwas erhalten wird.“ (Jakobus 1,6-7)

Das, was in Jakobus 3,17 über die Weisheit ausgesagt wird, soll ein Ideal für die christliche Lebensführung sein: Seid zuerst heilig, sodann friedfertig, freundlich, gehorsam, reich an Erbarmen und guten Früchten, unparteiisch und heuchelt nicht. Nur so bestehen die Gläubigen und die Gemeinschaft der Gläubigen das Leben.

Kunst etc.

Wer mit verschränkten Armen in den Himmel zu gucken ist keine offene Gebetshaltung. Ja, verschränkte Arme zeugen von Widerstand. Am Brunnen der Weisheit in Thale sitzt der kleine Windzwerk Nordi – seine Gestaltung ist keine Auslegung von Jakobus 3,16-4,3; aber die Körperhaltung wirkt wie eine Auslegungshilfe zur Visualisierung, wogegen sich der Autor des Jakobusbriefes wendet. Ein sich von den Mitmenschen abschottender Mensch, der vielleicht nur auf sich selbst bedacht ist, kann nur „falsch“ in den Himmel gucken. Sein Gebet wird nicht erhört. Am Anfang des Gebetes steht die Unterordnung unter den Willen Gottes, die Nachfolge der Weisheit und somit der friedvollen Weltordnung Gottes. Der kleine Windzwerk Nordi guckt kritisch, ja zweifelnd oder missgünstig in den Himmel – wie soll er da „Weisheit von oben“ empfangen?

Michael Pfau. „Thale, Brunnen der Weisheit, Windzwerg Nordri“. Künstler: Jochen Müller, Quedlinburg. Jahr der Fertigstellung: 2004. Lizenz: CC BY-SA 2.0.
Michael Pfau. „Thale, Brunnen der Weisheit, Windzwerg Nordri“. Künstler: Jochen Müller, Quedlinburg. Jahr der Fertigstellung: 2004. Lizenz: CC BY-SA 2.0.