Das Leben ist Leid, dessen schnelles Ende man nur erhoffen kann! – dies ist keine buddhistische Weisheit, sondern Ijob Gedanken im Alten Testament.
1. Verortung im Buch
In seinem Leid geht Ijob einen radikalen Weg. Er macht Gott für sein Leid verantwortlich: „Habe ich gefehlt? Was tat ich dir, du Menschenwächter? Warum hast du mich zu deiner Zielscheibe gemacht, sodass ich mir selbst zu einer Last geworden bin?“ (Ijob 7,20). Ja, er klagt Gott an (siehe Ijob 9,14-35) – er fordert Gott gar auf seine Unschuld anzuerkennen: „Wie viel habe ich an Sünden und Vergehen? Meine Schuld und mein Vergehen sag mir an!“ (Ijob 13,23). Die Leser und Leserinnen wissen aus dem Prolog, dass Gott tatsächlich verantwortlich für das Leid Ijobs ist, der im ersten Vers des Buches als „untadelig und rechtschaffen“ beschrieben wird. Und selbst nachdem er durch den Satan – und dies von Gott erlaubt – leidet, sagt er noch wie ein exemplarischer Gottesfürchtiger: „Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen?“ (Ijob 2,10).
Nachdem dem erzählenden Prolog beginnt der Hauptteil des Buches, der von Redegängen Ijobs mit seinen Freunden bestimmt ist. Als erster ergreift Elifas das Wort und versucht Ijobs Leid zu erklären. Das Leid sei auf die kreatürliche Schwäche des Menschen zurückzuführen – dem Menschen bleibe nichts anderes als die Gottesfurcht und das Bittgebet: „Ich aber, ich würde Gott befragen und Gott meine Sache vorlegen, der Großes und Unergründliches tut, Wunder, die niemand zählen kann.“ (Ijob 5,8). Doch Ijob kann und will das Leid nicht einfach hinnehmen, den er erkennt Gott als seinen Gegner: „Die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir, mein Geist hat ihr Gift getrunken, Gottes Schrecken stellen sich gegen mich.“ (Ijob 6,4).
2. Aufbau
Der Lesungstext entstammt der Antwort Ijobs (Ijob 6-7) auf die erste Rede Elifas (Ijob 4-5). In den Versen 1-2 erklingt eine allgemeine Klage über das Schicksal der Menschen, die er in den Versen 3-7 auf sein eigenes Schicksal überträgt und dies in einer Bitte enden lässt (Vers 7). Seine erste Rede endet im Todeswunsch: „Nun denn - zum Staub bette ich mich, und suchst du mich, dann bin ich nicht mehr da.“ (Vers 21).
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 1-2: Die Übersetzung „Kriegsdienst“ verleitet schnell auf eine falsche Spur. Das hier stehende hebräische Wort צָבָא (gesprochen: zavah) bedeutet in den meisten Fällen zwar einen zu leistenden Kriegsdienst. Doch die Grundbedeutung ist eine schwere Arbeit – wie zum Beispiel der Frondienst -, zu der man verpflichtet ist, ohne dafür einen direkten Lohn zu erhalten. Diese Deutung ist auch durch Vers 2 gestützt, in dem als Vergleich auf den Sklaven und den Tagelöhner verwiesen werden. Dass auch das Leben eines Tagelöhners ein Kampf war, zeigt sich an den prophetischen Warnungen gegen Ausbeutung: „Weh dem, der seinen Palast mit Ungerechtigkeit baut, seine Gemächer mit Unrecht, der seinen Nächsten ohne Entgelt arbeiten lässt und ihm seinen Lohn nicht gibt.“ (Jeremia 22,13).
Verse 3-4: Ijob betont durch die passivische Formulierung (siehe auch Verse 1-2), dass das Leid ohne sein Zutun über ihn gekommen ist. „Monde“ stehen für den Lauf der Zeit und die Nennung der „Nächte“ verweist auf eigentliche Ruhezeiten. Doch die gesamte Zeit ist durch Nichts, also keinen Lohn, und Mühsal geprägt. Diese Verzweiflung spiegelt sich nicht nur in seiner seelischen, sondern auch körperlichen Gesundheit wider: „Mein Leib ist gekleidet in Maden und Schorf, meine Haut schrumpft und eitert.“ (Vers 5).
Vers 6: Mehrfach hatte Ijob zuvor bereits um einen schnellen Tod gefleht (Ijob 3,21-23; 4,8-9.11). Nun reflektiert er das unabwendbare Ende. Das Weberschiffchen ist hier ein Bild für die Schnelligkeit und damit Vergänglichkeit. Geht beim Weben der Faden aus, dann steht es aber plötzlich still. Diesem Bild wohnt im Hebräischen ein Wortspiel inne, dass man im Deutschen nicht wiedergeben kann. Denn das hebräische Wort für Hoffnung und Faden sind identisch: תִּקְוָה (gesprochen: tikwah).
Vers 7: Der Bitte, dass Gott ihn erinnere, wohnt keine Hoffnung inne. Für Ijob steht fest, dass er kein Glück mehr erleben wird, sondern alles Nichts ist. Er will wie ein Windhauch im Nichts enden: „Ich mag nicht mehr, ich will nicht ewig leben. Lass ab von mir, denn nur ein Hauch sind meine Tage!“ (Vers 16).