Psalmen

Psalm 7

71Ein Klagelied Davids, das er dem HERRN sang wegen des Benjaminiters Kusch.

2HERR, mein Gott, ich flüchte mich zu dir; *
hilf mir vor allen Verfolgern und rette mich,
3damit niemand wie ein Löwe mein Leben zerreißt, *
mich packt und keiner ist da, der rettet!

4Wenn ich das getan habe, HERR, mein Gott, *
wenn an meinen Händen Unrecht klebt,
5wenn ich meinem Freunde Böses tat, *
wenn ich den ausraubte, der mich jetzt grundlos bedrängt,
6dann soll mich der Feind verfolgen und ergreifen; /
er trete zu Boden mein Leben *
und lege in den Staub meine Ehre. [Sela]

7HERR, steh auf in deinem Zorn, *
erheb dich gegen die Wut meiner Bedränger!
Wach auf zu mir hin! *
Du hast zum Gericht gerufen.
8Um dich stehe die Schar der Völker im Kreis, *
über sie kehre zu deinem Thron in der Höhe zurück!
9Der HERR richtet die Völker. /
Verschaffe mir Recht, HERR, nach meiner Gerechtigkeit, *
nach meiner Unschuld, die mich umgibt!
10Die Bosheit der Frevler finde ein Ende, /
doch dem Gerechten gib Bestand, *
der du Herzen und Nieren prüfst, gerechter Gott!
11Mein Schutz ist Sache Gottes, *
er ist Retter derer, die redlichen Herzens sind.
12Gott ist ein gerechter Richter, *
ein Gott, der an jedem Tag zürnt.

13Fürwahr, wieder schärft der Frevler sein Schwert, *
spannt seinen Bogen und zielt.
14Doch gegen sich selbst hat er tödliche Waffen gerichtet, *
bereitet sich glühende Pfeile.
15Siehe, Unrecht empfängt er; *
er geht schwanger mit Unheil und gebiert Lüge.
16Ein Loch hat er gegraben und es ausgeschaufelt, *
da fiel er in die Grube, die er selber gemacht hat.
17Seine Untat kehrt auf sein Haupt zurück *
und auf seinen Scheitel steigt seine Gewalttat herab.

18Ich will dem HERRN danken gemäß seiner Gerechtigkeit; *
ich will singen und spielen dem Namen des HERRN, des Höchsten.

Überblick

Psalm 7 ist das Gebet gewordenen Sprichwort: Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.

 

1. Verortung im Buch

Der theologische Anknüpfungspunkt für diesen Psalm liegt vielleicht im Sprichwörterbuch, in einer weitverbreiteten weisheitlichen Sentenz: „Wer eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, wer einen Stein hochwälzt, auf den rollt er zurück“ (Sprichwörter 26,27; siehe auch „Kontext“). Dieses Gerechtigkeitsprinzip sieht der Beter in Gott verankert und bitte ihn dementsprechend ihn zu retten. Damit bewegt sich der Psalm auf den bereits direkt am Anfang des Psalters vorgegeben Gedankenwegen: „Denn der HERR kennt den Weg der Gerechten, der Weg der Frevler aber verliert sich.“ (Psalm 1,6)

Im Aufbau des Psalters ist auch bemerkenswert, dass sowohl Psalm 3 als auch Psalm 7 durch ihre Überschrift sich auf den Aufstand Absaloms gegen seinen Vater und König David beziehen. In beiden Psalmen geht es um die Not eines unschuldig Verfolgten. Und wenn man die Psalmen von Psalm 3 bis Psalm 7 abschreitet scheint zumindest mit Blick auf die gegebenen Zeitangaben ein Höhepunkt erreicht: Psalm 3,6 und Psalm 4,9 wissen, dass die Gerechten von Gott auch in der Nacht beschützt werden; in Psalm 5,4 steht: „HERR, am Morgen hörst du mein Rufen, am Morgen rüst ich das Opfer zu, nach dir halte ich Ausschau.“ Und in Psalm 6,7 ist die Nacht die Zeit der Klage: „Ich bin erschöpft vom Seufzen, / jede Nacht benetze ich weinend mein Bett, ich überschwemme mein Lager mit Tränen.“ – nach diesen Blicken in die Nacht und den darauffolgenden Morgen, verkündet Psalm 7,12 nun: „Gott ist ein gerechter Richter, ein Gott, der an jedem Tag zürnt“, also ein Gott der allzeit für Gerechtigkeit sorgt. 

 

2. Aufbau 

Psalm 7 ist das Bittgebet eines unschuldig Angeklagten, bzw. unschuldig Verfolgten. Seine Zuflucht ist Gott, wie es mit den ersten Worten direkt deutlich wird: „JHWH, mein Gott!“. Auf diese Anrede folgt direkt die Rettungsbitte (Verse 2-3), zu deren Untermauerung – wiederum direkt mit der Anrede „JHWH, mein Gott!“ beginnend, ein Reinigungseid und Selbstverfluchung folgt. Auf dieser Grundlage ruft er Gott nicht nur als Zufluchtsort, sondern als Richter an (Prozessforderung: Verse 7-12). Das in Vers 10 ausgesprochene Vertrauen („Die Bosheit der Frevler finde ein Ende, / doch dem Gerechten gib Bestand, der du Herzen und Nieren prüfst, gerechter Gott!“) wird auf der Grundlage des sogenannten Tun-Ergehen-Zusammenhangs (siehe Auslegung) dann in den Versen 13-17 weisheitlich durchdacht, worauf dann in Vers 18 der Beter sein Lobversprechen gibt.

Bemerkenswert ist auch, dass der Psalm durch Wortwiederaufnahmen im Hebräischen strukturiert ist: רדףי  (gesprochen: rodfai, „meine Verfolger“) in Vers 2 und ירדף (gesprochen: jardof, „er soll verfolgen“) in Vers 6; משפט (gesprochen: mischpat, „Gericht“) in Vers 7 und שפט (gesprochen: schofet, „Richter“) in Vers 12; ישוב (gesprochen: jaschuv, „er/es soll ab-/umkehren) in den Versen 13 und 17.

 

3. Erklärung einzelner Verse 

Vers 1: Die Überschrift ist auf zweierlei Weise rätselhaft. Wie in der revidierten Einheitsübersetzung wird das erste Wort, שִׁגָּי֗וֹן (gesprochen: schigajon) üblicherweise mit „Klagelied“ übersetzt, obwohl das folgende Gebet eigentlich keine Klage ist, sondern eher eine Bitte mit Begründung. In der akkadischen Sprache bezeichnet das ähnlich klingende Wort sigû einen Klageruf, bzw. eine Bitte um die Befreiung von Sünde. Im Hebräischen ist jedoch eine Ableitung von dem Verb שגה, das sowohl „ungewollt/unabsichtlich sündigen“ als auch „töricht handeln“ bedeutet, wahrscheinlich. In Anbetracht der Unschuldsbeteuerung in den Versen 4-6 könnte das erste Wort vielleicht den Psalm als eine Erklärung der Unabsichtlichkeit bezeichnen, dich in eben diesen Versen wird deutlich, dass der Beter sich gar keiner Schuld – nicht mal einer unabsichtlichen – bewusst ist. Ohne Zweifel handelt es sich um eine Art von Gesang, wie der Fortgang der Überschrift nahelegt: „er [also ,David] sang JHWH, wegen der Worte Kuschs, des Benjaminiters.“ Doch wer ist dieser Benjaminiter Kusch?  Auf welche Situation im Leben Davids bezieht sich die Überschrift? Kusch ist eigentlich die alttestamentliche Bezeichnung für Nubien und nicht als Name für eine Person belegt, daher verwundert auch die folgende Bezeichnung als Benjaminiter und somit als Angehöriger des Stamme Sauls (vgl. 1 Samuel 9,21) gegen den sich David als König durchsetzte. Vielleicht ist mit Kusch in der Überschrift, auf den Kuschiter angespielt, der in 1 Sam 19,1 David die Botschaft über den Tod seines rebellierenden Sohnes und Thronaspiranten Absalom überbringt: „Da kam auch der Kuschiter und sagte: Mein Herr, der König, lasse sich die gute Nachricht bringen, dass der HERR dir heute Recht verschafft hat gegenüber allen, die sich gegen dich erhoben hatten. Der König fragte den Kuschiter: Geht es dem Jungen, Abschalom, gut? Der Kuschiter antwortete: Wie dem jungen Mann möge es allen Feinden meines Herrn, des Königs, ergehen, allen, die sich in böser Absicht gegen dich erhoben haben“ (2 Sam 18,31-32). Auf die Worte des Kuschiters, „dass der HERR dir heute Recht verschafft hat“ könnte in Ps 7,9 aufgenommen sein: „Verschaffe mir Recht, HERR, nach meiner Gerechtigkeit, nach meiner Unschuld, die mich umgibt!“  In 2 Sam 19 wird die überraschende Trauer Davids über seinen Sohn Absalom, der zuvor sein Leben und seine Königsherrschaft bedroht hatte – vielleicht ist der David zugeschriebene Psalm 7 in diese Situation hineingeschrieben, und dem triumphierenden und trauernden David in den Mund gelegt, um zu verdeutlichen, dass Absalom sein Unheil über sich selbst gebracht hat, ohne das David Schuld an seinem Tod hat. 

Verse 2-3: Der Psalm beginnt mit einer Anrufung Gottes, die zugleich ein Zuflucht suchendes Bekenntnis ist: „JHWH, mein Gott (bist Du)!“ Der Beter ist nicht auf der Flucht, sondern hat für sich bereits Zuflucht bei seinem Gott gefunden: „zu Dir habe ich mich geflüchtet“. Von diesem ‚sicheren‘ Ort spricht er seine beiden Forderungen zu seinem Gott, der dieser Zufluchtsort ist. Dadurch das diese doppelte Anrede in Vers 4 wiederkehrt, sind die Rettungsbitte (Verse 2-3) und der Reinigungseid (Verse 4-6) eng miteinander verbunden – dort wird auch näher beschrieben, wer die Verfolger sind. Mit Hilfe einer Löwenmetapher wird die in Vers 2 ausgesprochene Bitte begründet – man kann den Vers noch drastischer und wörtlicher übersetzen: „damit er meine Kehle nicht reißt wie ein Löwe, (mich) wegzerrt und keiner da ist, der mit (ihm) entreißt“. Im Alten Orient gibt es viele Darstellungen von Löwen, die ihr Opfer am Genick oder Hals packen und zum Fressen wegschleifen – dieses Bild aus der Natur beschreibt wie hilflos der Beter gegeben über seinen Verfolgern ist; der Beter beschreibt sich damit als schwache Beute gegenüber einem starken Angreifer. Indem sowohl Vers 2 als auch Vers 3 mit demselben Verb enden, werden die Bitte und die Metapher noch enger zusammengezogen: Gott möge den Beter nicht nur ‚retten‘, sondern konkret mit Gewalt aus der Notlage entreißen. In der verwendeten Löwenmetapher wird zugleich deutlich, dass der Beter all seine Hoffnung in Gott legt.

Verse 4-6: Die Funktion dieser Verse kann als Reinigungseid und Selbstverfluchung zusammengefasst werden. Die Verse 4-5 benennen die Bedingung (3mal „wenn“) und Vers 6 die mögliche (dreifach beschriebene) Folge („dann“). Man erfährt nicht, welchen Vorwurf den Beter trifft, aber es scheint eine vorgeworfene Tat zu sein, denn es geht um Unrecht „an meinen Händen“. Der Verfolger, der den Beter anklagt, ist nicht einfach ein „Freund“, sondern „derjenige, der friedlich mit mir lebte“. Vielleicht wird die Darstellung der zuvor heilen Beziehung entgegen der Wiedergabe in der revidierten Einheitsübersetzung gar noch gesteigert, denn es ist vielleicht möglich das Ende von Vers 5 folgendermaßen zu übersetzen: „ – ich hatte den, der mich grundlos bedrängt, doch herausgerissen [im Sinne von ‚retten‘]“. Sowohl in den Versen 2 und 3 als auch in Vers 5 wird jeweils eine Form des hebräischen Verbes חלץ, das hier in der im Vers vorliegenden Form sowohl „schädigen“ als auch „erretten“ bedeuten kann, verwendet. – In der revidierten Einheitsübersetzung nicht erkennbar werden in Vers 6 Worte aus der Löwenmetapher von Vers 3 aufgenommen und diese somit hier weitergeführt, um dann in einem krassen Kontrast zu enden: Die Ehre des Beters, seine rechtliche und soziale Integrität, solle im Staub darniederliegen, wenn die Anklage stimmte. Dieses Bild bietet zudem einen Kontrast zwischen Beter und Gott. Er, der sich sozusagen verbal in den Staub legt, bitte nun Gott im nächsten Vers: „Steh auf!“

Verse 7-10: Mit vier Imperativen fordert der Beter die Einberufung des Gerichts in den Versen 7-8. Der Verfahrensantrag folgt dann in den Versen 9-12. Das Gebet schlägt hier um in einen fordernden Ton (aufgrund der postulierten Unschuld). Er fordert den Zorn Gottes, die Kehrseite seiner Gerechtigkeit, gegen seine Feinde. Vielleicht fordert er nicht nur, dass Gott sich „gegen die Wut meiner Bedränger“ erhebe, sondern – das ist eine andere Übersetzungsmöglichkeit – „erhebe Dich in Wut gegen meine Bedränger“. Der Zorn Gottes, seine Wut, ist kein Affekt, sondern bedeutet die Durchführung seines öffentlichen Gerichts, das auf Grundlage von Gerechtigkeit vollstreckt wird. Der Beter stellt hier Gott als Weltenrichter dar, als welcher er die entscheidende Instanz für die Gerechten. Weil er unschuldig ist, kann er furchtlos zu Gott sagen, dass Gott über ihn richten solle. Die Aussage „Verschaffe mir Recht, HERR, nach meiner Gerechtigkeit!“ bezieht sich dabei nicht auf eine falsche, moralische Selbstgerechtigkeit, sondern das Wissen des Beters, dass er in diesem Falle im Recht ist. So fordert der Beter in Vers 8 auch im Endeffekt keinen Entscheid von Gott, sondern die Einhaltung des als Gerechtigkeit definierten Prinzips, dass die Bosheit sozusagen ihre eigene Quelle treffen soll. Gott ist derjenige, der in den Herzen, d.h. dem Verstand der Menschen, und den Nieren, d.h. in ihren innersten Regungen, diese Quelle ausfindig macht. Nun, in Vers 10, sind aus den Verfolgern des Beters auch sprachlich “Frevler“, also Gottlose geworden. 

Verse 11-12: Den Forderungen folgt die Vertrauenserklärung. Gott ist nicht nur „Schutz“, sondern eine Verteidigungswaffe für den Beter, ein Schild. Bemerkenswert ist daran, dass das מגן (gesprochen: magen) ein kleines, am Arm getragenes Schild war. Doch Gott ist nicht nur ein Verteidiger, sondern mit seinem ‚alltäglichen Zorn‘ ein stets bestrafender Gott. Diese Aussage wird dann in der antiken griechischen Übersetzung, der Septuaginta, vereint: „der nicht jeden Tag seinen Zorn aufkommen lässt“.

Verse 13-14: Über wen sprechen diese Verse? Die revidierte Einheitsübersetzung schreibt dort, wo im hebräischen Text eigentlich nur ein unbekanntes Subjekt, also „er“, steht, „der Frevler“. In Vers 12 ist Gott der Handelnde, und somit könnte man ebenso in den Versen 13-14 Gott als Subjekt annehmen: Gott richtet seine tödlichen Waffen gegen den Frevler. Zwar wird danach in Vers 15 kein neues Subjekt genannt, aber „er“ bezieht sich dort auf den Frevler. Diese mögliche doppelte Leseweise ist vielleicht intendiert: Gott und der Frevler stehen sozusagen bewaffnet zum Kampf bereit. Wenn in den Versen 13-14 der Frevler als Handelnder beschrieben wird, verdeutlicht dies, dass die in den Versen 2-3 beschriebene Gefahr für den Beter noch nicht abgewendet ist. 

Verse 15-17: In zwei Bildern, von der Geburt und der Jagd, wird der sogenannten Tun-Ergehen-Zusammenhang als Gerechtigkeitsprinzip der Welt angeführt (siehe Auslegung und Kontext). Dass das böse Handeln zum Frevler wie ein Bumerang zurückkehrt, formuliert Vers 17 auf besonders eindrückliche Weise, indem zweimal ausgesagt wird, dass die Böse tat am Ende den Bösetäter trifft – dabei ist die Satzstruktur so aufgebaut, dass beide Teilverse wie gespiegelt zueinanderstehen, wörtlich: „Es kehrt zurück seine Untat auf sein Haupt, auf seinen Scheitel seine Gewalttat steigt herab.“

Vers 18: Am Ende, nach der weisheitlichen Reflexion, steht keine abschließende Rede zu Gott, sondern über Gott – ein Lobversprechen, das im Verlauf des Psalters dann durch wörtliche Aufnahme in Ps 9,2-3 aufgenommen wird: Ich will danken, HERR, aus ganzem Herzen, erzählen will ich all deine Wunder. 3 Ich will mich an dir freuen und jauchzen, deinem Namen, Höchster, will ich singen“ (Psalm 9,2-3).

Auslegung

In der alttestamentlichen Wissenschaft gibt es den Fachausdruck „Tun-Ergehen-Zusammenhang“; dieser lange Begriff versucht auf den Punkt zu bringen, was der Beter in Psalm 7,17 sagt: „Seine Untat kehrt auf sein Haupt zurück und auf seinen Scheitel steigt seine Gewalttat herab.“ Wer Böses tut, erleidet Böses – und das bedeutet umgekehrt: Wer Gutes tut, dem widerfährt Gutes. Der Glaube an diesem Zusammenhang von Tat und Folge scheitert bekanntlich oft an der Realität des Lebens; und auch im Psalm ist der Unschuldige, doch derjenige, der leidet. 

Im Denken der hebräischen Bibel ist eine Tat etwas ist, das den Täter als Person definiert. Wer Böses tut, lebt also sozusagen in der Sphäre seiner bösen Taten, die Macht über die Person gewinnen. Doch diese Vorstellung ist kein Naturgesetz: Das Böse zerstört nicht von selbst den Bösetäter. Es bedarf Gottes Eingreifen, damit sozusagen das vom Menschen selbst in seinem Tun angelegte Geschick zur Entfaltung gelangt. Anders formuliert: Gott wird als Richter gedacht, der keine Strafe vollzieht, sondern sozusagen, wie der Alttestamentler Klaus Koch schreibt einen „Hebammendienst“ vollzieht, und die vom Bösetäter auf sich selbst heraufbeschworene Strafe erwirkt. Somit liegt die Schuld für das Gericht auch nicht bei Gott, sondern sein Zorn ist nichts anderes als die Durchsetzung der Gerechtigkeit nach dem Prinzip des Tun-Ergehen-Zusammenhangs. Doch in Psalm 7 wird zugleich auch deutlich, dass dieses Gerechtigkeitsprinzip eben kein Automatismus ist, sondern von Gott erbeten werden muss, ja Gott muss sozusagen regelrecht bedrängt werden, damit er dementsprechend handelt. 

In der Situation des Beters von Psalm 7 gibt es zwei Möglichkeiten: 1.) Er könnte selbst Vergeltung üben und sich gegen den Verfolger wehren. 2.) Er könnte entgegen der Realität völlig passiv darauf vertrauen, dass dem Gerechten nichts geschieht und der Böse bestraft wird. Mit den Worten von Psalm 7 entscheidet man sich gegen die menschliche Vergeltung und vertraut auf die Worte aus Sprichwörter 20,22: „Sag nicht: Ich will das Böse vergelten. / Vertrau auf den HERRN, er wird dir helfen!“ – doch dieser Glaube an eine Gerechtigkeit, die der Welt zugrundliegt, bedarf eines Weckrufs!

Kunst etc.

Im Stuttgarter Psalter aus dem 9. Jahrhundert wird der Psalm mit einer Darstellung von Vers 6 illustriert: „dann soll mich der Feind verfolgen und ergreifen; / er trete zu Boden mein Leben und lege in den Staub meine Ehre.“ Was der Beter eigentlich als einen Wenn-Dann-Fall in den Versen 4-6 beschreibt, ist hier in seiner Folge dargestellt. Der Beter sitzt im Staub und wird von den Verfolgern bedroht. Bemerkenswert ist, dass er eine Schriftrolle in der Hand hält (seinen Psalm? eine Weisheitsschrift?) und in seiner Notlage mit dem Finger in den Himmel verweist, aus dem ihm die rettende Hand Gottes entgegengestreckt ist.

Bildquelle: Stuttgarter Psalter (9. Jahrhundert), Folio: 7v. aus: The Warburg Institute Iconographic Database (siehe: Ernest T. De Wald, The Stuttgart Psalter, Biblia Folio 23, Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart, Princeton 1930). Lizenz: CC BY-NC 3.0.