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Wenn Friede und Gerechtigkeit sich küssen

Die Bedeutung von Frieden im Alten Testament

Bild von ELG21; Lizenz: Pixabay
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Es herrscht Krieg in Europa, in der Ukraine – und der Traum von friedlichen Zeiten auf diesem Kontinent mit den so tiefen Kriegsnarben und -wunden ist fern. Blutig ist nun der Kampf um den Frieden – doch was ist Frieden? Frieden ist mehr als eine sinkende Zahl von Kriegsopfern oder die partielle Abwesenheit von Krieg. Frieden bedeutet Unversehrtheit, Wohlergehen und Vollständigkeit. Frieden ist eine lebensfördernde und gerechte Geordnetheit der Welt in ihren politischen, rechtlichen und sozialen Realitäten. Zumindest ist dies eine Vorstellung von Frieden im Alten Testament.

Zustand und Verhältnisbestimmung

Das hebräische Wort, das im Deutschen meistens mit „Frieden“ wiedergegeben wird, ist שלום (gesprochen: schalom). Es leitet sich aus einer Verbalwurzel ab, die ein weites Bedeutungsspektrum besitzt: „heil sein und bleiben“, „wiederherstellen“, „ersetzen“, „bezahlen“, aber auch „vergelten“. שלום bedeutet die personelle und sachliche Integrität bzw. die Wiederherstellung dieses Zustands. Das heißt nicht, dass Frieden immer Gerechtigkeit bedeutet:

"Wenn du vor eine Stadt ziehst, um sie anzugreifen, dann sollst du ihr zunächst eine friedliche Einigung [שלום] vorschlagen. Nimmt sie die friedliche Einigung an und öffnet dir die Tore, dann soll die gesamte Bevölkerung, die du dort vorfindest zum Frondienst verpflichtet und dir untertan sein." (Deuteronomium 12,10-11)

In diesem alttestamentlichen Kriegsgesetz ist Frieden nur die Abwesenheit der Kampfhandlung. Die friedliche Einigung (שלום) ist nur ein Verzicht auf Gegenwehr und Widerstand. Die Folgen sind Unterwerfung und Frondienst: ein Frieden, aus dem Hass und neue Gewalt entstehen können. Nicht jeder Frieden ist gerecht. Im Alten Testament bedeutet Frieden nicht immer das Gegenteil von Krieg. In 2 Sam 11 führt König David Krieg gegen die Ammoniter und erkundigt sich bei Urija – wenn man den hebräischen Text wörtlich übersetzt – nach dem „Frieden des Krieges“ (שלום המלחמה), womit der Erfolg der Kriegshandlungen gemeint ist. Er fragt mit dieser Formulierung, ob der Krieg wie geplant verläuft. 

Verständigung

Der Begriff שלום bedeutet auch „Wohlbefinden“ und kann sich ebenso auf Kriegshandlungen wie auf Personen beziehen: 

"Friede sei mit dir!" (Richter 19,20)

Dieser Ausspruch ist eine Begrüßungsformel und zugleich ein Segenswunsch, wie die darauffolgenden Worte zeigen:

"Was Dir fehlt, das lass nur meine Sorge sein …" (Richter 19,20)

Dieser Segenswunsch verdeutlicht, dass das Wohlbefinden der anderen Person, hier in der Verantwortung des Sprechenden liegt. Frieden bedeutet eine zweiseitige Verständigung. Als der machtvolle Prophet Samuel

"nach Bethlehem kam, gingen ihm die Ältesten der Stadt zitternd entgegen und fragten: Bedeutet dein Kommen Frieden? Er antwortete: Frieden." (1 Samuel 16,4-5)

Lebensfülle

Im Sprichwörterbuch findet sich die Zusage, dass die Lehre des Weisheitslehrers Leben und שלום mehren:

"Mein Sohn, vergiss meine Unterweisung nicht, bewahre mein Gebot in deinem Herzen! Denn sie vermehren die Tage und Jahre deines Lebens und bringen dir Wohlergehen [שלום]." (Sprichwörter 3,1-2)

Der Kontext dieser Aussage legt es nahe, שלום hier als das Wohlergehen im Leben zu deuten, das es ermöglicht, lebenssatt in Frieden zu sterben (siehe zum Beispiel Genesis 15,15).

Frieden und Gerechtigkeit

Das hebräische Wort שלום, das meistens mit Frieden übersetzt wird, besitzt eine Vielfalt von Bedeutungen. Frieden kann Unterdrückung und Frondienst bedeuten. Frieden meint nicht unbedingt das Gegenteil zu Krieg. Mit dem Wort Frieden wird sich um das eigene Wohlbefinden und das Wohlbefinden des Anderen gekümmert und Frieden kann Lebensfülle bedeuten. In jedem Fall bedeutet der Begriff mehr als eine politische Ruhevorstellung. Politischer Friede liegt in der Verantwortung der Herrschenden:

"Er [der König] regiere dein [Gottes] Volk in Gerechtigkeit und deine Elenden durch rechtes Urteil. Dann tragen die Berge Frieden für das Volk und die Hügel Gerechtigkeit." (Psalm 72,2-3)

Der Frieden ist die Frucht der Gerechtigkeit und der Rechtschaffenheit, der durch das Ideal eines Zusammenlebens geschaffen wird, dem Einzelnen die Lebensfülle ermöglicht und zugleich das Wohlergehen der Gesellschaft im Blick hat.

"Er [der König] schaffe Recht den Elenden des Volkes, er rette die Kinder der Armen, er zermalme die Unterdrücker." (Psalm 72,4)

Gerechtigkeit ist Hilfe für die Ärmsten der Armen und die Schaffung eines sozialen Gleichgewichts ohne unterdrückerische Strukturen. Wenn Gerechtigkeit blüht, dann herrscht Frieden (siehe Psalm 72,7). Frieden ist zwar eine Zusage Gottes, aber der gerechte Frieden liegt in der Verantwortung des Menschen.

"Ich will hören, was Gott redet: Frieden verkündet der HERR seinem Volk und seinen Frommen, sie sollen sich nicht zur Torheit wenden." (Psalm 85,9)

Die Realisierung des Friedens als Gottesgeschenk hängt von dem Verhalten der Menschen ab. Die Menschen können sich vom zugesagten Frieden abwenden, aber wie der folgende Vers feststellt, ist das Heil schon angebrochen:

"Fürwahr, sein [Gottes] Heil ist denen nahe, die ihn fürchten, seine Herrlichkeit wohne in unserem Land. Es begegnen einander Huld und Treue; Gerechtigkeit und Friede küssen sich." (Psalm 85,10-11)

Der Kuss zwischen Gerechtigkeit und Friede wird nicht als zukünftiges Ereignis beschrieben. Die verwendete Verbform ist im Hebräischen ein Perfekt, eine abgeschlossene, also feststehende Handlung. In ihrer Relevanz für den Menschen ist sie aber abhängig vom menschlichen Verhalten. Erst die Verbindung von Gerechtigkeit und Frieden bedeutet Heil. Frieden ohne Gerechtigkeit ist ein zerbrechlicher Zustand. Nur wo Gerechtigkeit geübt und Frieden gelebt wird, entsteht eine Geordnetheit der Welt, in der ein Kuss eine höhere Bedeutung als jeder Krieg hat.

 

Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktionsleitung von In Principio wieder.