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Organspende, Atem und Leben

Wann ist ein Mensch tot?

"Breathing" - Lizenz: pxhere / gemeinfrei
"Breathing" - Lizenz: pxhere / gemeinfrei

Tod kann Leben schenken – dieser abstrus klingende Satz ist der Hoffnungsschimmer derjenigen, die todkrank auf eine Organspende warten. Dennoch sinkt die Bereitschaft zur Organspende und nun wird über die Widerspruchslösung diskutiert. Seit den Anfängen operiert die Transplantationsmedizin auf einem schmalen ethischen Grad. Für sie bedeutet der Tod des einen das Leben des anderen. Damit stellt sich grundlegend die Frage, wann ein Mensch tot ist. Nun definiert der Tod, wann die Nächstenliebe zu einer Person zur Nächstenliebe zu einer anderen Person wird.

Das Ende des Lebens
 
Die Bibel kennt weder den Herztod noch den Ganzhirntod als Kriterium, wann ein Mensch tot ist. Sie erklärt den Moment des Todes nicht medizinisch, sondern, man könnte sagen, sie definiert ihn empirisch beziehungsweise theologisch deutend – zum Beispiel: Wer nicht mehr atmen kann, ist tot. Wer verblutet, verliert sein Leben.
 
Im zweiten Schöpfungsbericht wird der Mensch aus dem Staub des Erdbodens geformt und Gott kündigt den Menschen nach dem Sündenfall an, dass sie zum Staub zurückkehren werden. Was die Menschen zu einem lebendigen Wesen macht ist der Lebensatem, den Gott schenkt:

"Da formte Gott, der HERR, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen." (Genesis 2,7)

Der Lebensatem heißt auf hebräisch: נִשְׁמַ֣ת חַיִּים (gesprochen: nischmat chaijm). Das verwendete Wort נשמה (gesprochen: neschama) bezeichnet in anderen Texten auch die ganz konkrete Luftbewegung durch die Nase: Zum Beispiel ist in Psalm 18,6 das hörbare Atmen durch die Nase ein Bild für den Zorn Gottes. An anderen Bibelstellen kann ganz umfassend das Lebendige bezeichnen:

"Alles, was atmet, lobe den HERRN. Halleluja!" (Psalm 150,6)

In Genesis 2,7 wird ein zweites interessantes hebräisches Wort verwendet: נֶ֥פֶשׁ חַיָּֽה (gesprochen: nefesch chaja – „lebendiges Wesen“). Das hebräische Wort נפש (gesprochen: nefesch) ist sehr schwer zu übersetzen: Es kann „Atem“, „Verlangen“, „Lebenskraft“, „das Selbst“ bedeuten. Die Grundbedeutung scheint sowohl im Hebräischen als auch in anderen altorientalischen Sprachen jedoch „Kehle“ zu sein. Somit ist der Ort des Atems, die Kehle beziehungsweise der Rachen, in der hebräischen Sprache zum Bild für die Lebenskraft selbst geworden. Sogar der Leichnam, dem das Lebendige gänzlich fehlt, kann mit diesem Begriff alsנֶ֥פֶשׁ מֵ֖ת (gesprochen: nefesch met) bezeichnet werden: der Leichnamen ist eine tote Kehle beziehungsweise ein totes Leben.

Beide Begriffe, נשמה und נפש, hängen eng mit dem Atem zusammen und haben sich zu Begriffen für das Leben allgemein entwickelt. Dementsprechend werden in der Hebräischen Bibel diese Worte auch verwendet, um den Tod einer Person auszudrücken.

"Nach einiger Zeit erkrankte der Sohn der Frau, der das Haus gehörte. Die Krankheit verschlimmerte sich so, dass zuletzt kein Atem [נשמה] mehr in ihm war." (1 Könige 17,17)

"Die Mutter, die sieben Söhne gebar, welkte dahin, verhauchte ihr Leben [נפש]." (Jeremia 15,9a)

In keiner dieser Textstellen wird durch diese Bildsprache jedoch ein medizinisches Kriterium aufgestellt, wann eine Person lebt und wann eine Person tot ist. Zugrunde liegt die Wahrnehmung, dass das Atmen ein Zeichen des Lebens ist, das als Geschenk von Gott gegeben oder aber auch wieder genommen werden kann (vgl. Psalm 104,29-30).

Ebenso wie der Atem ist in der Hebräischen Bibel ist auch das Blut Zeichen des Lebens:

"Denn das Leben [נפש] des Fleisches ist im Blut." (Levitikus 17,11)

Eine schwierige Frage

In biblischer Zeit war jemand tot, wenn er nicht mehr atmete. Wer viel Blut verlor, starb daran. Zugleich verstanden die Autoren aber auch, dass diese Beobachtungen nur empirischer Natur sind und so wurde zum Beispiel aus den mit der Atmung zusammenhängenden Begriffen Ausdrücke für die Lebenskraft und das Leben allgemein. Die Atmung wurde im Denken der Hebräischen Bibel sozusagen zum Symptom der Lebenskraft.

Mit der heutigen Medizin kann selbst ein Mensch, dessen Gehirn vollends abgestorben ist, durch Maschinen weiterhin am Leben gehalten werden. Sauerstoff kann weiterhin in seine Lungen gelangen und das Herz das Blut durch den gesamten Körper pumpen. Die Frage, ob ein Mensch in diesem Zustand noch lebt oder nicht, lässt sich nicht einfach mit der Bibel beantworten. Aber auf dem Weg zu einer Antwort auf die philosophisch-theologische Frage, wann eine Person aufhört zu existieren, gibt die Bibel mit der Bildsprache über die Atmung einen wichtigen Wegweiser. Gott es ist, der den Lebensatem schenkt und ihn wieder nimmt:

"Verbirgst du dein Angesicht, sind sie verstört, nimmst du ihnen den Atem, so schwinden sie hin und kehren zurück zum Staub. 30 Du sendest deinen Geist aus: Sie werden erschaffen und du erneuerst das Angesicht der Erde." (Psalm 104,29-30)

Im Hintergrund dieser Psalmverse klingt Genesis 2,7 an. Allerdings wird hier nicht der Hebräische Ausdruck נִשְׁמַ֣ת חַיִּ֑ים (gesprochen: nischmat chaijm) verwendet, sondern das hebräische Wort רוח (gesprochen: ruach). Die Grundbedeutung des Wortes ist „bewegte Luft“ und es kann „Wind“, „Atem“, „Lebenskraft“ und „Geist“ bedeuten. In Psalm 104,29-30 bezeichnet das hebräische Wort רוח das den Körper der Menschen und Tiere belebende Prinzip, das sich im Atem kundgibt. Gott ist der Herr über das Leben, er gibt es und nimmt es. Der Mensch darf das Leben eines anderen nicht mutwillig beenden – mit dieser Forderung im Hintergrund muss die Theologie mit der Medizin und der Philosophie diskutieren, wann ein Mensch tot ist. Die Gesellschaft muss sich fragen, wie sie ein verlässliches Kriterium für den Tod definiert, das den Menschen es ermöglicht, aus Nächstenliebe zu einem Organspender zu werden.