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Kirchenasyl – eine biblische Kritik

Die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Prophetie

Der Staatsanwalt hält Äbtissin Mechthild Thürmer für eine Straftäterin. Mit klaren Worten verteidigt sie dagegen ihr Verständnis, was Kirchenasyl für sie bedeutet. „Als Christin stehe ich in der Pflicht, Menschen in der Not beizustehen. Ich verstehe nicht, warum ich dafür jetzt bestraft werden soll.“ Doch auch Klöster sind im Rechtsstaat kein rechtsfreier Raum und für ihre Überzeugung muss sie sich daher vor dem Bamberger Amtsgericht verantworten, das ihr ausdrücklich mitgeteilt hat, dass sie im Falle einer Verurteilung „mit der Verhängung einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen“ habe. Ihr beschauliches Kloster im oberfränkischen Kirchschletten war in der Vergangenheit ein letzter Zufluchtsort von Menschen mit dramatischen Flüchtlingsschicksalen, um sich der Durchsetzung der nationalen und europäischen Asylgesetze zu entziehen.  Doch nun geht es nicht mehr um den Einzelfall, sondern um eine Krise zwischen den Kirchen und dem Bund. Der Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes, Pater Claus Pfuff, sieht gar durch den Prozess das Kirchenasyl als Institution in Gefahr. Es sei „für die Kirchen – auch vom Alten Testament her – eine ganz alte Tradition“ und er betont: „Es hat immer wieder Orte gegeben, wo Verfolgte einfach Zuflucht gefunden haben.“

Im Endeffekt ist das Asyl eine Sonderform der Gastfreundschaft. Der Person wird zugesichert, dass sie sicher und unangefochten einen Zufluchtsort vor der Gewalt, die der Grund ihrer Flucht ist, findet. Entscheidend war aber bereits in der biblischen Zeit nicht der Ort, sondern die persönliche Dimension – und es gab ein klar geregeltes Verfahren.

Die alttestamentlichen Gesetze regeln das Asyl für vor Krieg, politischer Verfolgung oder Hunger Schutzsuchenden nicht. Genaugenommen gibt es einem dem deutschen Fremdwort „Asyl“ entsprechenden Begriff im Alten Testament nicht, auch wenn es sich zum Teil in Übersetzungen finden lässt. Im Bibelhebräischen ist der entscheidende Begriff am besten übersetzt mit dem einfachen Wort „Aufnahme“ und dieser Begriff hat im alttestamentlichen Recht nur in einem sehr konkreten Fall seine besondere Bedeutung. Das Gesetz schreibt spezielle, im Deutschen sogenannte Asylstädte vor, zu denen Menschen fliehen konnten, deren Handeln zum unbeabsichtigten Tod einer Person geführt hatte. Diese Asylstädte sollten Schutz vor der drohenden Blutrache bieten, wie zum Beispiel in Deuteronomium 19,11-12 im negativen Fall ausgeführt wird.

Wenn es sich um einen Mann handelt, der mit einem andern verfeindet war, wenn er ihm auflauerte, ihn überfiel und tödlich traf, sodass er starb, und wenn er in eine dieser Städte floh, dann sollen die Ältesten seiner Stadt ihn von dort holen lassen und in die Hand des Bluträchers geben und er soll sterben.“ (Deuteronomium 19,11-12)

In den Büchern Deuteronomium Numeri und Josua ist klar geregelt, dass der vor der Blutrache Geflüchtete sich dann in dieser Stadt einem Verfahren vor der Rechtsgemeinde stellen muss (siehe zum Beispiel Numeri 35,24 und  Josua 20,6) – und wenn ihm eine Tötungsabsicht nachgewiesen wird, hat er den Schutz der Asylstadt verloren. Wurde hingegen seine Unschuld festgestellt, bot ihm die Stadtgemeinschaft einen sicheren Zufluchtsort. Dieses Recht galt sowohl für Israeliten als auch für Nicht-Israeliten. Auch in den alttestamentlichen Erzählungen steht verstärkt die persönliche Dimension des Asyls im Vordergrund. David sucht Schutz beim Propheten Samuel. Der König von Moab flüchtet mit seiner Familie zu König David. Absalom sucht nachdem er seinen Bruder Amnon umgebracht hatte, Schutz beim König des Aramäerstaates Geschur. Und im Buch des Propheten Jesaja wird die Stadt Jerusalem dazu aufgerufen Kriegsflüchtlinge aus Moab aufzunehmen (siehe Jesaja 16,1-4).

Lange wurde in der Bibelwissenschaft angenommen, dass der ursprüngliche Ort des Asyls im Alten Testament das Heiligtum gewesen sei. So flüchtet zum Beispiel der oberste Befehlshaber des israelitischen Heeres, Joab, vor König Salomo in den Tempel und ergreift die Hörner des Altars. Doch der noch junge König lässt ihn selbst am Altar töten – und trotz der Grausamkeit der am Anfang des ersten Buches der Könige geschilderten Szene, handelt Salomo rechtens und es zeigt sich, dass selbst der heilige Ort kein absoluter Schutzort ist. Joab hatte seinen Rivalen Amasa ermordet und somit von Anfang an kein Recht auf Asyl am Altar, wie es auch in Exodus 21,14 explizit erklärt wird.

Hat einer vorsätzlich gehandelt und seinen Mitbürger aus dem Hinterhalt umgebracht, sollst du ihn von meinem Altar wegholen, damit er stirbt.“ (Exodus 21,14)

Generell findet sich im Alten Testament kein Gesetz und keine Erzählung, die ein Tempelasyl gewähren. Nur im Buch Numeri wird eine Verbindung zwischen einem gewährten Asyl und dem Tempel hergestellt. Derjenige, der unbeabsichtigt den Tod einer anderen Person verursacht und in seiner Asylstadt Zuflucht gefunden hat, wird vom Hohen Priester gesalbt und steht unter dessen besonderem Schutz (siehe Numeri 35,25).

Das Alte Testament stellt somit die persönliche und die gesellschaftliche Verantwortung für Asylsuchende in den Vordergrund – nicht den heiligen Ort. Und im speziellen Fall der Gefahr durch Blutrecht sieht es ein geregeltes Verfahren vor. Ansonsten ist die Bibel geprägt von sittlichen und religiösen Appellen. Den König von Juda mahnt der Prophet Jeremia:

Übt Recht und Gerechtigkeit und rettet den Ausgeplünderten aus der Hand des Gewalttäters! Fremde, Waisen und Witwen bedrängt und misshandelt nicht!“ (Jeremia 22,3).

Recht und Gerechtigkeit in Übereinstimmung zu bringen ist eine große Herausforderung, für die es keine abstrakte Lösung gibt. Schon im Alten Testament liegt die Entscheidung über den Schutz, die ein Asyl bietet, in der Hand von Menschen und nicht allein von Gesetzen und es bedurfte prophetischer Mahnungen. Das alttestamentliche „Asylgesetz“ ist keine Wurzel des modernen Kirchenasyls – aber der prophetische Aufruf den unterdrückten Fremden beizustehen ist dem Christentum in die Bibel eingeschrieben. Die Praxis des Kirchenasyls ist ein Appell von Gläubigen an die Verantwortlichen. Wenn scheinbar alle rechtlichen Möglichkeiten zur Anerkennung des Asylstatus ausgeschöpft sind, bietet das Kirchenasyl die Möglichkeit, stellvertretend für Geflüchtete sich für Menschenwürde und die Rechtstaatlichkeit einzusetzen. Dieser Weg kann bis vor das Gericht und sogar ins Gefängnis führen. Für diesen Weg des gewaltlosen, zivilen Ungehorsams müssen die jeweiligen Akteure auch selbst einstehen und Verantwortung übernehmen. Hier treffen sich das christliche Ideal und die Realpolitik. hier ist der Ort eines rechtsethischen Normativismus. Das Recht wird auf Basis ethischer Grundnormen überprüft. Dabei gilt, dass auch die Kirche sich nicht in einem rechtsfreien Raum bewegt und das weltliche Gesetz das prophetische Handeln und Rufen aushalten muss.

 

Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktionsleitung von In Principio wieder.