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Kalendarische Realität

Wie die Bibel die Zeit ordnet

"Der Neujahrstag 1. Januar auf Kalender in Form einer Holzkiste", fotografiert von Marco Verch. Lizenz: CC-BY 2.0.
"Der Neujahrstag 1. Januar auf Kalender in Form einer Holzkiste", fotografiert von Marco Verch. Lizenz: CC-BY 2.0.

Der 1. Januar 2023 ist gemäß dem jüdischen Kalender der 8. Tevet 5783 und nach dem muslimischen Kalender der 8. Dschumādā th-thāniya 1444. Für Juden und Jüdinnen ist bereits der 4. Monat ihres religiösen Kalenders angebrochen. Für Muslime und Musliminnen ist bereits der 6. Monat des Jahres – und im Kirchenjahr beginnt nun die 6. Woche. In der römisch-katholischen Kirche wurde früher am 1. Januar das Fest der Beschneidung Jesu gefeiert – heutzutage wird das Hochfest der Gottesmutter gefeiert und zugleich ist an diesem Datum der katholische Weltfriedenstag. Es war der römische Kaiser Julius Caesar, der im Jahre 46. v. Chr. den 1. Januar als Jahresbeginn festlegte. Und nachdem im Mittelalter lange darüber gestritten wurde, wann ein neues Jahr anfange, legte Papst Innozenz XII. im Jahr 1691 fest, dass nicht der 25. Dezember und somit die Geburt Jesu der für die Zeitrechnung entscheidende Neujahrstermin sei, sondern der 1. Januar. 

Bereits innerhalb der alttestamentlichen Schriften gab es verschiedene Kalender und somit verschiedene Jahresanfänge: Beginnt das Jahr mit dem Frühlingsmonat, in dem Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten auszog? Oder endet es mit dem letzten Erntemonat im Herbst? 

Der erste Monat des Jahres heißt im Alten Testament אָבִיב (gesprochen: aviv) und wurde gemäß dem Buch Exodus als Jahresanfang festgelegt, da Gott Israel in diesem Monat aus der Sklaverei befreit hat. Kurz vor dem Auszug aus Ägypten wird erzählt: „Der Herr sprach zu Mose und Aaron im Land Ägypten: Dieser Monat soll die Reihe eurer Monate eröffnen, er soll euch als der Erste unter den Monaten des Jahres gelten“ (Exodus 12,1-2). Kurz nach dem Auszug sagt Mose dann zum Volk: „Heute im Monat Abib seid ihr weggezogen“ (Exodus 13,4). Doch bis heute wird im Judentum der Jahresanfang nicht im ersten Monat des Jahres, sondern im siebten Monat gefeiert.

Das biblische Land Israel gehört zum subtropischen Bereich. Die Regen- und Kälteperiode beginnt mit dem Frühregen Ende Oktober und endet mit dem Spätregen im April. Es ist die Zeit des Pflügens und der Aussaat. Darauf folgt direkt der trockene und heiße Sommer als Reife- und Erntezeit. Landwirtschaftlich gesehen war die Zeit des ersten Regens, wenn die Nächte länger und die Tage kürzer wurden, der Jahresanfang. Im Festkalender im Buch Exodus heißt es: „Du sollst auch das Fest der Ernte, des ersten Ertrages deiner Aussaat auf dem Feld halten, ebenso das Fest der Lese am Ende des Jahres, wenn du den Ertrag deines Festes eingebracht hast“ (Exodus 23,16). Im Jahr 1908 wurde von dem Archäologen Robert A. S. Macalister in der Nähe von Jerusalem ein Kalksteintäfelchen gefunden, das vermutlich aus dem 10. Jahrhundert v. Chr. stammt und landwirtschaftliche Aktivitäten während des Jahres aufzählt. Aus der Abfolge der Ernteereignisse lässt sich schließen, dass im Herbst das Ackerbaujahr begann. 

In der Überlieferung wurde somit eine kalendarische Ausrichtung anhand der Heilsgeschichte aber auch anhand des Ackerbaus unausgeglichen nebeneinanderstehen gelassen. Auch gibt es in den alttestamentlichen Schriften drei verschiedene Systeme zur Benennung der Monate. So stammt wahrscheinlich der oben bereits genannten Monatsname Aviv aus dem kananäischen und phönizischen Sprachraum. Am häufigsten liest man in den alttestamentlichen Schriften die Benennung der Monate durch Ordnungszahlen – wodurch vielleicht die vorher verwendeten kananäischen und phönizischen Monatsnamen abgelöst wurden; wie vielleicht im Bericht des Tempelbaus zu Zeiten Salomos ersichtlich wird: „und im elften Jahr, im Monat Bul, das ist der achte Monat, wurde das Haus mit all seinem Zubehör vollendet …“ (1 Könige 6,38). Erst spät setzten sich dann in den alttestamentlichen Schriften die babylonischen Monatsnamen durch, die auch im heutigen Judentum noch verwendet werden. So wurde zum Beispiel aus dem Monat Aviv, dem ersten Monat, der Monat Nisan (vgl. Nehemia 2,1; Ester 3,7). Und selbst die Länge eines Monats ist, wenn man die verschiedenen alttestamentlichen Schriften vergleicht, umstritten: In Psalm 104 ist ein deutlicher Hinweis auf einen Lunarkalender zu finden, da der Mond und nicht die Sonne über das Datum eines Festes entscheidet: „Du machst den Mond zum Maß für die Zeiten, die Sonne weiß, wann sie untergeht“ (Psalm 104,19). Doch in den biblischen Festkalender ist kein Hinweis auf Mondphasen enthalten; und in der Sintflutgeschichte (Genesis 6-9) liegt eine Chronologie vor, die wohl von einem schematischen 360-Tage-Jahr (losgelöst vom Mondlauf) ausgeht, wie es bereits um 1000 v. Chr. in Assyrien existierte. Die Flut beginnt am 17. Tag des zweiten Monats: „Im sechshundertsten Lebensjahr Noachs, am siebzehnten Tag des zweiten Monats, an diesem Tag brachen alle Quellen der gewaltigen Urflut auf und die Schleusen des Himmels öffneten sich“ (Genesis 7,11). 150 Tage, also 5 Monate á 30 Tage, später setzt die Arche wieder auf festem Boden auf: „und das Wasser verlief sich allmählich von der Erde. So nahm das Wasser nach hundertfünfzig Tagen ab. Am siebzehnten Tag des siebten Monats setzte die Arche auf dem Gebirge Ararat auf“ (Genesis 8,3-4). 

Betrachtet man die verschiedenen Berechnungen einer Monatslänge, die unterschiedliche Benennung der Monatsnamen und auch die Frage nach dem Jahresanfang, wird ersichtlich, wie viele nicht religiöse, sondern politische, kulturelle und auch landwirtschaftliche Aspekte die Zeitwahrnehmung bestimmten, obwohl die Entwicklung eines Kalenders doch untrennbar mit der zyklischen Strukturierung von Zeit um ‚heilige Zeiten‘ verbunden war. 

Aus der Zeit vom 3. bis zum 1. Jahrhundert v. Chr. sind einige jüdische, zwischentestamentliche Schriften überliefert, die den Versuch einer Kalenderreform dokumentieren - die jedoch gescheitert ist.  Das Jahr wurde in 364 Tage eingeteilt, bestehend aus 12 Monaten und somit exakt 52 Wochen. Sinn und Zweck dieses Kalendervorschlags war es, die Sabbatheiligung zu gewährleisten, indem eine Kollision von Festen und Sabbaten vermieden wird. Diese Zeitneuordnung wurde zum Beispiel vom Autor des Henochbuches als durch einen Engel Gottes geoffenbart beschrieben (siehe 1 Henoch 72), doch im späteren Judentum hat sich nicht der perfekte religiöse Kalender durchgesetzt, sondern ein ursprünglich babylonischer Lunisolarkalender – also ein am Mondlauf ausgerichteter, aber an das Sonnenjahr angeglichener Kalender -, der an der astronomischen Realität orientiert ist.   

 

Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktionsleitung von In Principio wieder.

Bildquelle: "Der Neujahrstag 1. Januar auf Kalender in Form einer Holzkiste", fotografiert von Marco Verch. Lizenz: CC-BY 2.0.