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Jesus, einer der Sündenböcke

Uns ist ein Sündenbock geboren! -(un)weihnachtliche Gedanken zu Levitikus 16.

Scapegoat von Hartwig HKD, Lizenz: CC BY-ND 2.0.
Scapegoat von Hartwig HKD, Lizenz: CC BY-ND 2.0.

Uns ist ein Sündenbock geboren! So könnte man Weihnachten im Sinne des Religionsphilosophen René Girard feiern: Hat der freiwillige Tod Jesu die menschliche Gewalt kanalisiert zu einer allumfassenden Sündenvergebung? Diese theologische Frage rückt schnell in den Hintergrund, wenn man sieht, wie im Alltag immer neue Sündenböcke durch die Menschheitsgeschichte getrieben werden. Schuld sind doch am besten immer die Anderen – und wenn die Anderen auch noch die Fremden sind, dann lässt sich noch einfacher mit dem Finger auf sie zeigen. Die menschliche Gewalt zeigt sich immer wieder in unberechtigten Schuldzuweisungen. Schuld sind die Juden! Das haben uns die Muslime eingebracht! Schuld sind immer die Anderen! Auch innerhalb der Kirche verläuft das Spiel nicht anders. Am Missbrauchsskandal sind längst verstorbene oder emeritierte Bischöfe und die „anderen“ Priester schuld. Aber die biblische Lehre vom Sündenbock ist realitätsnäher als die alltägliche Praxis erahnen lässt.

LEBEN IN DISTANZ

Am jährlich einmal stattfindenden, großen Versöhnungstag legte der Hohepriester alle Sünden auf einen Bock, der sie in die Wüste fortragen sollte (Levitikus 16,20-23) – das ist der sogenannte Sündenbock. So wird er jedoch im biblischen Text nicht genannt. Eingeführt wird er als ein „lebendiger Bock“ und entgegen der jüdischen und der christlichen Auslegungstradition muss er nicht sterben. Denn Sünden lassen sich nicht so einfach aus der Welt schaffen.

Hat er [der Hohepriester] es vollendet, für das Heiligtum, das Offenbarungszelt und den Altar Sühne zu erwirken, soll er den lebenden Bock herbringen lassen. …. und der Bock soll alle ihre Sünden mit sich in die Einöde tragen. (Levitikus 20,20.22)

Man kann sich von seinen Sünden distanzieren. Dadurch kann man sie als Tat aber nicht rückgängig machen. Sie sind fest in die Vergangenheit eingeschrieben und für die Zukunft bleibt nur der Glaube an einen Versöhnung suchenden und bietenden Gott. Dieses theologische Angebot muss jedoch auch angenommen werden und es ist kein billiges.

Aaron soll seine beiden Hände auf den Kopf des lebenden Bockes legen und über ihm alle Schuld der Israeliten und alle ihre Frevel mitsamt all ihrer Sünden bekennen. Nachdem er sie so auf den Kopf des Bockes geladen hat, soll er ihn durch einen bereitstehenden Mann in die Wüste schicken. (Levitikus 20,21)
Der Hohepriester stellt nicht den Bock in die Mitte, sondern die Sünden. Die kultische Handlung ist nur eine symbolische. Die Versöhnung schaffende Tat ist das Bekenntnis und damit das öffentliche Eingeständnis der begangenen Ungerechtigkeiten. Die eigene Schuld muss ausgesprochen und offensichtlich gemacht werden, damit man sich von ihr distanzieren kann.

SÜNDENGESCHENKE

Die Geburt eines unschuldigen Kindes, dass die Sünde der Welt hinfort nimmt – so romantisch diese Szenerie auch sei –, bedeutet nicht, dass die eigenen ungerechten Taten und die dadurch entstandene Schuld nicht bekannt werden muss. Es bringt nichts, einfach einen Sündenbock durch die Straßen zu treiben! Diese biblische Wahrheit gilt im ganzen Jahr.