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Einsamkeit im Angesicht der Pandemie

"Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine ist."

Fotografiert von: Andrew Neel - Lizenz: gemeinfrei
Fotografiert von: Andrew Neel - Lizenz: gemeinfrei

Die physische Distanz zwischen den Menschen rettet im Angesicht des sich ausbreitenden Coronavirus Sars-CoV-2 das Leben von durch Alter und Vorerkrankungen bedrohten Mitmenschen. Sie ist in der gegenwärtigen Situation ein zwischenmenschliche Akte der Nächstenliebe. Doch zugleich führt sie für viele Menschen in die Einsamkeit. Aus der physischen Distanz darf keine soziale Distanz werden. Einsamkeit ist im Besonderen in der gegenwärtigen Situation, aber zugleich immer ein bedrohlicher Gefährte des Menschen. In der Schöpfung des Menschen betont das Buch Genesis bereits am Anfang, dass der Mensch ein homo socius ist:

"Dann sprach Gott, der HERR: Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine ist." (Genesis 2,18)

Aus diesem Grund schuf Gott aus Adam Mann und Frau. Die Schöpfung Gottes wäre nicht gut, wenn sie in Einsamkeit enden würde. Der Mensch ist ein zur Geselligkeit geschaffenes und nach alttestamentlicher Sicht nur in ihr sein Glück findendes Wesen. Im Buch Kohelet wird gar vor einem übertriebenen Individualismus nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch im Leben allgemein gewarnt (Kohelet 4,7-12).

Das in der Schöpfungsgeschichte verwendete Wort, das hier mit „allein sein“ übersetzt wird, ist לבד (gesprochen levad). Es bedeutet soviel wie „getrennt/abgetrennt“ und leitet sich vom Wort בד (gesprochen bad) ab, das ein vom Ganzen abgetrenntes Teilstück bezeichnet. Ohne soziales Umfeld ist der Mensch unvollständig. In den Klageliedern heißt es zwar als Ratschlag an den Mann, bzw. die Bewohner Jerusalems nach dessen Zerstörung:

"Er sitze einsam und schweige, wenn der Herr es ihm auferlegt." (Klagelieder 3,28)

Die abverlangte Haltung zielt aber nicht auf die Duldung und Demut als die von dem Leidenden geforderte Verhaltensweise. Einsamkeit wird nicht als Leid, das ertragen werden muss, glorifiziert. Sondern der Text spricht eine Ermutigung aus, in demütiger Erwartung auf das sichere und nahe Ende der Einsamkeit durch Gottes Eingreifen zu harren (Klagelieder 3,31).

Die Psalmen bieten dem einsamen Menschen Hoffnung in der Anrede Gottes. Vollends alleine ist der Gläubige nie. Der Beter kann sich in der beklagten Einsamkeit an Gott wenden:

"Wende dich mir zu und sei mir gnädig; denn ich bin einsam und arm." (Psalm 25,16)

Einsamkeit bedeutet aus alttestamentlicher Perspektive immer Not, einen unheilen Zustand. Mit Gott kann diese Vereinzelung und Isolierung ertragen und überwunden werden. Geheilt wird Einsamkeit in der menschlichen Gesellschaft aber nur, wenn der theologische Grundsatz „Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine ist“ gelebt wird. Das bedeutet in Zeiten der physischen Distanz neue Formen des sozialen Miteinanders zu suchen und zu finden - denn auch jetzt gilt: Kein Mensch muss einsam sein. Diese theologische Schöpfungswahrheit ist eine Verheißung, deren Erfüllung in den Händen der Menschen liegt – sie ist nun ein pastoraler Auftrag mit besonderer Herausforderung.

 

Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktionsleitung von In Principio wieder.