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Ein (un)praktisches Gesetz

Das vorgeschriebene Brachjahr

"Brachliegendes Feld im nördlichen Baden-Württemberg (Deutschland); im letzten Jahr wurde hier Mais angebaut", fotografiert von 4028mdk09. Lizenz: CC BY-SA 3.0.
"Brachliegendes Feld im nördlichen Baden-Württemberg (Deutschland); im letzten Jahr wurde hier Mais angebaut", fotografiert von 4028mdk09. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Seit September – dem Anfang des jüdischen Jahres - sieht man auf brachliegenden Feldern in Israel aufgerichtete Schilder: „Hier wird das Brachjahr eingehalten!“. Aus Respekt vor einem biblischen Gesetz, das im Buch Exodus steht, bearbeiten einige jüdische Landwirte ihre Felder nicht. Denn in Exodus 23,10-11a heißt es: „Sechs Jahre kannst du in deinem Land säen und die Ernte einbringen im siebten sollst du es brachliegen lassen und nicht bestellen“.

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts, als die jüdische Einwanderung in das damalige osmanische Palästina zunahm, stellte dieses Gesetz - das für das Leben im Verheißenen Land gilt - gläubige Juden vor eine schwierige Entscheidung: Wie kann man diesem Gesetz im Land Israel gerecht werden, ohne zu verhungern? Rabbiner Isaak Elchanan Spektor löste das Problem auf eine sehr geschickte Art und Weise: Er wies darauf hin, dass das Gesetz nur bezogen sei auf „dein Land“, also das Land, das im Besitz der Juden ist. Diese Auslegung wurde später vom israelischen Oberrabbinat übernommen: Alle sieben Jahre werden in Israel durch das Oberrabbinat Felder, die jüdischen Landwirten gehören, für ein Jahr an Nicht-Juden „verkauft“. So ist es gläubigen Juden möglich, auf den Feldern in diesem Jahr zu säen und zu ernten. Nach dem Brachjahr erhalten die Landwirte ihre Äcker und Felder wieder als Besitz zurück. Diese modern-orthodoxe Auslegung und Praxis des Gesetzes wird jedoch von ultraorthodoxen Juden nicht anerkannt. Sie weisen darauf hin, dass das Brachjahr, um willen des Landes einzuhalten ist – in Levitikus 25,4 heißt es: „Aber im siebten Jahr soll das Land eine vollständige Sabbatruhe für den HERRN halten: Dein Feld sollst du nicht besäen und deinen Weinberg nicht beschneiden“. Einige Landwirte folgen dieser ultraorthodoxen Auslegung und lassen dementsprechend ihre Felder vollständig brachliegen. Diese Praxis wird von der israelischen Regierung mit einem Etat von mehreren Millionen Euro unterstützt: Wer sich dazu entscheidet, seine Felder im Brachjahr nicht zu bestellen, wird für seinen Verlust entschädigt. Als israelischer Bürger könnte man sich über eine solche „Verschwendung“ von Steuergeldern leicht aufregen – aber ein Blick in die Bibel zeigt, dass die Intention hinter dem Brachjahr bedenkenswert und gut ist.

Während das Buch Levitikus betont, das Brachjahr soll um willen des Landes geschehen – also der Regeneration des Bodens dienen –, versteht das Buch Exodus das Brachjahr explizit als Armenfürsorge: „Die Armen in deinem Volk sollen davon essen, den Rest mögen die Tiere des Feldes fressen. Das Gleiche sollst du mit deinem Weinberg und deinen Ölbäumen tun.“ (Ex 23,11b). Nun kann aber zurecht gefragt werden, wie nützlich eine Armenfürsorge ist, die es nur alle sieben Jahre gibt.

Die Gesetzgebung im Buch Levitikus setzt klar voraus, dass alle Felder in Israel alle sieben Jahre brachliegen müssen – alle sieben Jahre sozusagen alle Landwirte verarmen! Deshalb wird im Buch Levitikus die Frage laut: „Was sollen wir im siebten Jahr essen, wenn wir nicht säen und unseren Ertrag nicht ernten dürfen?“ (Levitkus 25,20). Die Antwort darauf ist zweiteilig: Denen, die die Gebote halten, sichert Gott sechs Jahre lang eine ausreichende Ernte zu und für das siebte Jahr verheißt er: „Ich werde für euch im sechsten Jahr meinen Segen aufbieten und er wird den Ertrag für drei Jahre geben“ (Vers 21). Gott stellt damit eine radikale Forderung: Israel solle sich in völlige Abhängigkeit von ihm begeben und auf seine Fürsorge vertrauen. Als Fürsorge verheißt er nicht nur eine reiche Ernte im sechsten Jahr, sondern er gebietet und verheißt, dass die Erträge, die das Land im Sabbatjahr selbst hervorbringt, alle ernähren sollen, „dich, deinen Knecht, deine Magd, deinen Lohnarbeiter, deine Beisassen, alle, die bei dir leben“ (Vers 6). In die Aufzählung der Nutznießer des Sabbats sind hier implizit auch die Armen einbezogen, auch wenn sie nicht ausdrücklich wie im Buch Exodus genannt werden. Allerdings bliebe auch hier die Armenfürsorge lediglich symbolisch: Armut und Hunger treten eben nicht nur alle sieben Jahre auf.

Anknüpfend an die Auslegung von Rabbiner Isaak Elchanan Spektor, ist der Hinweis von besonderem Interesse, dass das Gesetz im Buch Exodus „dein Land“ behandelt. Das Buch Levitikus spricht klar von dem (!) Land, und meint damit das ganze Land. Das Buch Exodus thematisiert das Land des Bauern („dein Land“). Der Text in Ex 23,10-11 ist bedeutungsoffen: Sechs Jahre darf der Bauer sein Feld bestellen, im siebten Jahr soll er es brachliegen lassen. Der Text sagt nicht, wonach sich der Siebener-Rhythmus richtet: Ein fester Sieben-Jahre-Rhythmus für ganz Israel? Oder ein individueller Sieben-Jahres-Rhythmus, abhängig davon, wann das Feld zuerst bestellt wurde? Liest man den Text gemäß der zweiten Leseart, würden verschiedene Felder in verschiedenen Jahren brachliegen und so die Armenfürsorge kontinuierlich gewährleisten: eine beeindruckende soziale Gesetzgebung.

Die Forderung, alle sieben Jahre das Land in Israel brachliegen zu lassen, kann und wird verschieden interpretiert und verstanden. Man kann das Gebot nicht beachten, man kann es umgehen oder strikt einhalten – und darüber hinaus kann man nach dem Sinn eines solchen Gebotes fragen. Ohne Zweifel dient es nicht der kapitalistischen Gewinnmaximierung – aus der Sicht der Bibel dient es der Regeneration des Bodens sowie der Armenfürsorge und es ist ein Symbol für das Vertrauen in Gott und für Gottes Fürsorge. Dieses kleine, für Christen heutzutage unbedeutende Gesetz Gottes aus dem Alten Testament stellt für jüdische Gläubige eine Herausforderung dar: Wie geht man mit einem solchen Gebot heute um, wie versteht man es? – eine Frage die sich auf alle Gebote Gottes im Alten und Neuen Testament ausdehnen lässt. 

 

Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktionsleitung von In Principio wieder.

Titelbild: "Brachliegendes Feld im nördlichen Baden-Württemberg (Deutschland); im letzten Jahr wurde hier Mais angebaut", fotografiert von 4028mdk09. Lizenz: CC BY-SA 3.0.