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Die christliche Gemeinde: dienen, feiern, bezeugen

Kursorische, biblische Anmerkungen zum Gemeindeleben

Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“  (Markus 1,15)

Jesu war in die Welt gekommen, um das Königreich Gottes zu verkünden.  Die Geschichte lehrt aber, dass nicht das Königreich Gottes kam, sondern die Kirche. Die Naherwartung der ersten Christen, dass Jesus wiederkommen und das Königreich Gottes errichten werde, bleibt bis heute enttäuscht. Aus der Dynamik des Anfangs entwickelte sich eine Institution. Bereits in den Lebensdarstellungen Jesu in den Evangelien lassen sich viele Indizien dafür finden, dass Jesus selbst auf die Kontinuität in der Gemeinschaft bedacht war: die Berufung von Jüngern und Jüngerinnen, die Schaffung des Zwölferkreises (der Apostel) und die Aussendung zur Verkündigung: 

Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Matthäus 28,18-20)

Der Jüngerkreis Jesus soll nach seinem Tod nicht nur bestehen bleiben, sondern proaktiv wachsen zu einer Gemeinschaft, die die Lehre Jesu befolgt. Bereits beim letzten Abendmahl verabschiedet Jesus sich von seinen Aposteln, aber zugleich sagt er seine andauernde Gegenwart voraus, die im zukünftigen gemeinsamen Mahl der Apostel und der Gläubigen gegeben sein wird: 

Und er [=Jesus] nahm einen Kelch, sprach das Dankgebet und sagte: Nehmt diesen und teilt ihn untereinander! Denn ich sage euch: Von nun an werde ich nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis das Reich Gottes kommt. Und er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach es und reichte es ihnen mit den Worten: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis! Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sagte: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.“ (Lukas 22,17-20) 

Die Identität der Gemeinde entsteht nicht aus ihr selbst heraus, sondern sie ist ihr durch Jesus gegeben und zugleich ist diese Identität ihr Auftrag. Sie lebt aus Jesus heraus und ist dabei auf ihn ausgerichtet – und wie das Johannesevangelium betont ist diese Existenz geleitet unter der Wirkung des sie in die ganze Wahrheit einführenden Geistes: 

Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird reden, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird. Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden. Alles, was der Vater hat, ist mein; darum habe ich gesagt: Er nimmt von dem, was mein ist, und wird es euch verkünden.“ (Johannes 16,13-15). 

Tod und Auferstehung Jesu werden zur Mitte des Christusglaubens und der Verkündigung; und der Geist Gottes wird zur kirchenstiftenden Grundlage (so zumindest schildert es die Apostelgeschichte in ihrer Pfingsterzählung). Ankerpunkt und Fundament der christlichen Gemeinde ist eine gemeinsame Antwort auf die Frage, wer Jesus Christus für die Gemeinde ist und in welcher Weise sich seine Geschichte heilvoll auf das Leben der Gemeinde auswirkt. Aufgrund dieses Christusbekenntnisses wird dann die Erkenntnis gewonnen, dass sich aus dem Verhältnis zu Jesus als dem Christus bestimmte Folgen für die gemeinsame Lebensgestaltung ergeben. Bei aller Konzentration auf das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass die Krise der Kreuzigung und der Himmelfahrt Jesu dadurch überwunden werden konnte, dass Jesus die Gottesherrschaft eben nicht mit seiner Person, sondern von Anfang an mit einem messianischen Kollektiv – seiner Jüngerschar, die in Erwartung der Gottesherrschaft leben – verbunden hat. Mit Jesu Absicht, Menschen von der verkündigten Idee der Gottesherrschaft zu überzeugen, ist der Grund für das Werden einer umfassenderen Gemeinschaft gelegt.

Die Urgemeinde

 „Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten. Alle wurden von Furcht ergriffen; und durch die Apostel geschahen viele Wunder und Zeichen. Und alle, die glaubten, waren an demselben Ort und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und teilten davon allen zu, jedem so viel, wie er nötig hatte. Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Lauterkeit des Herzens. Sie lobten Gott und fanden Gunst beim ganzen Volk. Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten.“ (Apostelgeschichte 2,42-47) 

Der Autor der Apostelgeschichte stellt in seiner Beschreibung der Urgemeinde einen Idealzustand dar, gegenüber dem sich – egal, ob er Realität war oder Fiktion ist – jede Gemeinde verhalten muss. Es ist ein Text, den sich eine Gemeinde als Spiegel gegenüberhalten kann. Grundlegendwichtig ist der Bezug zur Lehre der Apostel, also der Lehre Jesu, die die Apostel übermitteln. Damit ist die Tradition gemeint. Aber im selben Atemzug wird auch die Gemeinschaft genannt, als gegenwärtiger Verwirklichungsraum der Tradition. Die Gemeinschaft realisiert und stabilisiert sich durch zwei Säulen: das Brotbrechen und das Gebet. Mit dem Brotbrechen ist hier nicht die Eucharistiefeier in unserem heutigen Verständnis gemeint, sondern eine Einheit aus Eucharistie und Agapemahl; also ein echtes Sättigungsmahl, wie es auch das Abendmahl Jesu war. Es geht um wahre Tischgemeinschaft. Der zweite Aspekt ist das Gebet. Im damaligen jüdischen Kontext handelte es sich um die täglichen, festen Gebetszeiten – heute vergleichbar mit dem Stundengebet. Es zeigt sich hier, dass im Tagesablauf die Gemeinde eng miteinander verbunden ist und eine Gemeinschaft bildet, Nach Innen war diese Gemeinde sozusagen ein Herz und eine Seele und nach außen war sie attraktiv, genoss hohes Ansehen und wuchs durch ihren guten Ruf. Interessant ist besonders der letzte Satz der Beschreibung der Urgemeinde: 

Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten.“ (Apostelgeschichte 2,47) 

Nicht die Gemeinde selbst ist verantwortlich für die Mission und das Wachstum, sondern Gott ist es, der die Gemeinde wachsen lässt. Die Gemeinde ist in ihrer Lebensform so attraktiv und so angesehen, dass Mission somit aus dem Leben selbst sich ereignet. Dass vorausgesetzt wird, dass die Gemeinde beim Volk angesehen war, spricht gegen eine „aggressive Mission“, sondern für eine Integration in die Gesellschaft. 

Radikalität und die Ortsansässigen

In der Gemeinschaft der Christen wird Jesus als Lehrer anerkannt. Jesu sagt zu seinen Jüngern: 

Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder.“ (Matthäus 23,8) 

Das Matthäusevangelium entwirft die Gemeinde als eine Lerngemeinschaft, die egalitär nur eine außerhalb der Gemeinschaft stehende Autorität anerkennt. Besonders auffallend ist die Bezeichnung „Brüder“. Christen reden sich untereinander als Geschwister an und bilden eine neue Familie - in den drastischen Worten Jesu im Markusevangelium: 

Und er [=Jesus] blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ (Markus 3,34-35) 

Diese neue Familie ist zugleich auch eine Schicksalsgemeinschaft, die sich zusammen für ein neues Leben entscheidet. Nachfolge heißt in diesem Falle doch auch Heimatlosigkeit in der diesseitigen Welt:

Als sie auf dem Weg weiterzogen, sagte ein Mann zu Jesus: Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst. Jesus antwortete ihm: Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.“ (Lukas 9,57-58)

 – und die Gemeinschaft der Nachfolger Jesu gilt als herrschaftsfreier Bereich: 

Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.“ (Markus 10,42-44)

Charismatiker vs. Gemeinde?

Der Auftrag an die Jünger, heimatlos zu sein, radikal Jesus zu folgen – und dies in egalitärer Gleichheit – ist eine Herausforderung, an der man verständlicherweise scheitern kann. Es ist die Lebensform radikaler Wandercharismatiker, wie Jesus einer war. Aber wie Max Weber zurecht betont, besitzen solche charismatischen Bewegungen aufgrund ihrer ungefestigten Struktur keine langfristigen Überlebenschancen. Daher sind für die Kontinuität dessen, was Jesus mit seiner Verkündigungstätigkeit auf seinen Wanderungen und Unterweisungen begründet hatte, nicht nur die mit ihm umherziehenden Charismatiker wesentlich, die er als Zeugen seiner Botschaft zur Mission aussandte (Matthäus 28,19), sondern auch jene, die nicht auf Wanderschaft mit Jesus gingen, sondern in ihren Häusern und Berufen blieben. Von der Existenz dieser Anhänger Jesus, die ihre sozialen Kontexte nicht radikal verließen, sprechen jene Stellen, an denen von der Aufnahme Jesu in Häusern erzählt wird (z.B. Lukas 10,38-42). In Lukas 8,2-3 ist auch von Frauen die Rede, „die ihnen mit ihrem Hab und Gut dienten“ – Besitz deutet auf Sesshaftigkeit hin. Diese Symphatisantengruppe mit festen Wohnsitzen dürften Knoten- und Anlaufpunkte auf den Wanderungen gewesen sein, welche die Wandercharismatiker mit materiellen Gütern versorgten. 

Solche Häuser wurden zu Stammzellen christlicher Gemeinden, zu „Biotopen des Glaubens“. Die Keimzellen des kommenden Gottesreiches sind diese Anlauf- und Knotenpunkte. Dabei gilt aber: Der Stachel des charismatischen Aufbruchs „um des Himmelsreichs willen“ bleibt eine ständige Mahnung für die sesshaften Gemeinden und für jeden einzelnen Christen (vgl. dazu auch Matthäus 10,12-13).

Gemeinschaft vs. Individuum?

Gemeinde besteht aus der Gemeinschaft vieler Individuen, deren Grundlagen Pluralität, Solidarität und Einheit sind. Was dies bedeutet wird in der lukanischen Darstellung des Pfingstwunders sehr plastisch dargestellt: 

Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. 2 Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ (Apostelgeschichte 2,1-4)

Das Kommen des Heiligen Geistes erfüllt das ganze Haus und alle gemeinsam hören es. Zugleich aber lässt sich der Heilige Geist auf jeden Einzelnen im Haus nieder und sie sind individuell in der Gabe des Heiligen Geistes vereint. 

Jeder kennt die matthäische Kurzformel, die prägnant zusammenfasst, was Gemeinde ist:

Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Matthäus 18,20) 

Die Einheit der Gemeinde ist nicht ortsgebunden, sondern personengebunden im gemeinsamen Tun (hier dem Beten). Die Formel betont auch, dass es unbedeutend ist, wie groß die Versammlung ist, solange es eine Versammlung ist. Zwischen den Menschen ist Gott als einendes Prinzip – Immanuel, „Gott mit uns“. Im Matthäusevangelium wird die Betonung stark auf die Gemeinschaft gelegt. Im Johannesevangelium hingegen liegt die Betonung auf der Freiheit und Würde jedes einzelnen, der glaubt; auf der Unmittelbarkeit und Direktheit seiner Christusbeziehung. Das Johannesvangelium warnt so auch vor der Gefahr eines falschen Kollektivismus. Es geht um die Erschließung einer durch den prophetisch wirkenden Geist vermittelten Erkenntnis Jesu, die aber nur dem Einzelnen zugänglich ist. Johannes 15,1-8 betont die Verbindung des Einzelnen mit Christus (die Rebe am Weinstock); Johannes 10,14 schildert Jesus als den Hirten, der jedes einzelne Schaf kennt. Das Johannesevangelium bezeugt zudem viele Einzelbegegnungen und entwickelt so zunächst keine Ekklesiologie, sondern sieht in der Jüngerschaft jene Form, wie Nachfolge zu geschehen hat. Gemeinde ist gemäß Johannes 20,19-29 der Ort, wo die einzelne Person dem Auferstandenen begegnen und zum Glauben finden kann.

Intermezzo: Ekklesia

An diesem Punkt sei nun eine wichtige Definition gegeben, die uns in die Paulusbriefe überleitet. Die zwei Begriffe „Kirche“ und „Gemeinde“ können im Sprachgebrauch des Neuen Testaments mit einem Wort ausgedrückt werden: ἐκκλησία (gesprocen: ekklesia). Von der griechischen Wortbedeutung her bezeichnet der Begriff die Versammlung der freien, stimmberechtigten Bürger (Apostelgeschichte 19,32); in der antiken, griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta, bezeichnet es die Versammlung des Volkes Israel vor Gott. 

Die paulinische Perspektive

Bei Paulus kann der Begriff ἐκκλησία die Gesamtheit der Christen bezeichnen (1 Korinther 15,9); aber in der Mehrzahl der Vorkommen bezeichnet er die Ortsgemeinde. In der Ortgemeinde realisiert sich Kirche Gottes (1 Korinther 1,1-2). Sie ist Teil der universalen Kirche aber zugleich am Ort selbst Kirche im umfassenden Sinn. Für Paulus kennt der Begriff im Gegensatz zur griechischen Grundbedeutung auch keine sozialen Grenzen, sondern es gilt: 

Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ (Galater 3,28)

Die Gemeinde und die Kirche ist ein Ort ohne soziale Schranken und bildet darin einen Gegensatz zur Gesellschaft. Die Gemeinde ist eine offene Gemeinschaft, die sich in die Gesellschaft integriert, die sich nicht aus der Gesellschaft verabschiedet, sondern durch die eigene Weise der Lebensgestaltung die Gesellschafft heiligt. Für Paulus geht es um einen Balanceakt zwischen Proexistenz und Kontrastverhalten: 

Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergilt, sondern bemüht euch immer, einander und allen Gutes zu tun!“ (1 Thessalonicher 5,15) 

Die Grundlage für diesen Balanceakt ist Jesus Christus, der das Fundament einer jeden Gemeinde ist: 

Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld, Gottes Bau. Der Gnade Gottes entsprechend, die mir geschenkt wurde, habe ich wie ein weiser Baumeister den Grund gelegt; ein anderer baut darauf weiter. Aber jeder soll darauf achten, wie er weiterbaut. Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.“ (1 Korinther 3,9-11) 

Jesus ist das Fundament der Gemeinde, die Paulus sozusagen grundlegt und auf die jedes Gemeindemitglied aufbaut. Das Erste und Entscheidende, was christliche Gemeinden ausmacht und sie von anderen Gruppen unterscheidet – also die christliche Grundsubstanz! - das ist der Glaube der Getauften. Dieser Glaube besteht nicht im Katechismus und ist auch nicht durch eine Satzung gegeben, sondern er besteht in der Beziehung zu einer Person, zu Jesus Christus. Die Gemeinde lebt im steten Gegenüber zur Person Jesus Christus.  Für diese Beziehung verwendet Paulus die Baumetaphorik. Das Verb „bauen“ zeigt, dass die Gemeinde stets im „Aufbau“ ist, sozusagen eine Baustelle, an der stetig gearbeitet wird und zu dieser Baustelle kann jeder seinen Beitrag leisten – in den prägnanten Worten von Paulus: 

Was soll also geschehen, Brüder und Schwestern? Wenn ihr zusammenkommt, trägt jeder etwas bei: einer einen Psalm, ein anderer eine Lehre, der dritte eine Offenbarung; einer redet in Zungen und ein anderer übersetzt es. Alles geschehe so, dass es aufbaut.“ (1 Korinther 14,26) 

Jeder kann sein Wort im Gottesdienst erheben und partizipieren – Paulus geht hier von einem organisierten Durcheinander aus. In diesem Durcheinander ist das Herrenmahl das Zentrum: 

Ich rede doch zu verständigen Menschen; urteilt selbst über das, was ich sage! Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot.“ (1 Korinther 10,15-17) 

Die Gemeinde ist der Leib Christi. Es ist der Kreuzesleib Jesu, den die Christen im Herrenmahl empfangen und so selbst zu diesem Leib in der Welt werden. Die Eucharistie ist für Paulus das Einheitsprinzip der Gemeinde und der Ort der Beziehung – identitätsstiftend und zugleich missionarisch offen soll die Versammlung der Gemeinde ein Ort des gemeinsamen Lernens sein (1 Korinther 14,22-25). Denn die christliche Gemeinde ist der Ort der Manifestation des christlichen Glaubens. 

Jeder und jede in der Gemeinde sind aufgefordert, einen Beitrag für die Gemeinde zu leisten und alles, was an Begabungen in der Gemeinde vorfindbar ist, kann und soll auch in den Dienst des Gemeindebaus gestellt werden (1 Korinther 12,1-30). Für Paulus ist die Gemeinde ein Leib, der im Geist geeint ist und dessen Glieder durch die Gnadengaben des Geistes zu diesem Leib beitragen. Für die Gnadengaben verwendet er den Begriff „Charisma“, der sich mit Gunsterweis übersetzen lässt. Der Geist, das ist für Paulus jene dynamische Kraft, mit der Gott in die Gemeinde hineinwirkt und ihr durch die Gunsterweise an einzelnen hilft. Dabei betont Paulus das Verwiesen-Sein der geistlichen Dienste aufeinander, ja das bleibende Angewiesen-Sein auf jeweils andere geistliche Gaben. Kooperation ist von daher nicht etwas, was man auch machen kann, sondern ein Basiswort und eine beständige Aufgabe. Nach 1 Korinther 12,12-27 ist Kirche im eucharistischen Gottesdienst begründete Lebens- und Dienstgemeinschaft. Sie ist durch das Christusgechehen verbindlich geprägte Sozialstruktur, in der Pluralität (V. 14-19) und Solidarität (V. 20-29) aufeinander verwiesen. Nur so kann, wie es im 1 Petrusbrief heißt, die Gemeinde wirklich ein geistliches Haus werden: 

Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen!“ (1 Petrus 2,5) 

- indem die Gemeinde als Leib Christi „in seinen Fußspuren wandelt“ (1 Petrus 2,21) und in Worten und Werken Zeugen der Hoffnung sind (1 Petrus 2,12).

Die dienende, feiernde, bezeugende Gemeinde = Gemeinschaft

Die Gemeinde lebt als Reaktion auf das Leben, Sterben und Auferstehen Christi und zugleich ist der Gemeindeaufbau nie abgeschlossen, da die Gemeinde im Gegenüber zu Jesus sich stets auf dem Weg zu ihm befindet. So gehört zu jeder Gemeinde eine doppelte Blickrichtung. Der Blick auf die Tradition und die Frage: Woher komme ich?; der Blick in die Zukunft und die Frage: Wie verwirklicht sich die Nachfolge Christi in der heutigen Welt? So ist jede Gemeinde im positiven Sinne im Spannungsfeld zwischen Tradition und Prophetie gefangen. Beides dient einander als Korrektiv. Hierbei gilt, dass keine Gemeinde eine Insel der Seligen sein kann. Die Gemeinde ist Ort der Gottesbeziehung, sie ist Leib Christi in der Welt – also auch Zeugnis Gottes in der Welt. So ist jedem Gemeindemitglied entsprechend dem Doppelgebot der Liebe ein zweifacher Auftrag gegeben: Gott zu lieben und den Nächsten zu lieben (Matthäus 25,31-46). Der Ausgangspunkt in der Gegenwart hierfür ist die Eucharistiefeier. Die Gabe und Hingabe Jesu in den Zeichen von Brot und Wein verlangen nach der Haltung, die Jesus nach dem Zeugnis des Johannesevangeliums den Jüngern in der Fußwaschung als Maxime mitgegeben hat: den Dienst am Nächsten. Das letzte Abendmahl Jesus fand zwar nur im Kreis der Jünger statt, aber generell durchbrechen die Mähler, die Jesus zu seiner Lebzeit mit Zöllnern und Sündern eingenommen hat, die sozialen Grenzen. Die Eucharistiefeier ist die Teilhabe am Leib Christi, der Gemeinschaft der Gläubigen, und somit das Bekenntnis in den Fußspuren Jesu zu folgen, die ihn zum Heilstod für alle Menschen geführt hat (Römer 8,32). Die christliche Gemeinde ist eine dienende, feiernde, bezeugende Gemeinschaft.

 

Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktionsleitung von In Principio wieder.